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Anarchistische Bibliothek Anticopyright Alexander Berkman Die Kronstadt Rebellion 1923 www.anarchismus.at/anarchistische-klassiker/alexander-berkman/ 82-alexander-berkman-die-kronstadt-rebellion Textnachweis: als Vorlage diente der Nachdruck der Originalbroschüre (Verlag „Der Syndikalist“, Berlin 034, 1923) aus der „Sammlung unter der Hand“. Die Originalbroschüre enthält zudem eine geographische Karte von Kronstadt und eine Abbildung einer Seite der Kronstädter „Izvestia“. Der Text wurde von anarchismus.at sprachlich angepaßt (Ü sta Ue, Bürokratie sta Bureaukratie usw.) Gescannt von anarchismus.at anaristisebibliothek.org Die Kronstadt Rebellion Alexander Berkman 1923

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  • Anarchistische BibliothekAnticopyright

    Alexander BerkmanDie Kronstadt Rebellion

    1923

    www.anarchismus.at/anarchistische-klassiker/alexander-berkman/82-alexander-berkman-die-kronstadt-rebellion

    Textnachweis: als Vorlage diente der Nachdruck der Originalbroschüre(Verlag „Der Syndikalist“, Berlin 034, 1923) aus der „Sammlung unter derHand“. Die Originalbroschüre enthält zudem eine geographische Kartevon Kronstadt und eine Abbildung einer Seite der Kronstädter „Izvestia“.Der Text wurde von anarchismus.at sprachlich angepaßt (Ü statt Ue,

    Bürokratie statt Bureaukratie usw.)Gescannt von anarchismus.at

    anarchistischebibliothek.org

    Die Kronstadt Rebellion

    Alexander Berkman

    1923

  • Inhaltsverzeichnis

    I. Arbeiterunruhen in Petrograd 3

    II. Die Bewegung von Kronstadt 7

    III. Die Bolschewikenkampagne gegen Kronstadt 14

    IV. Die Ziele von Kronstadt 19

    V. Ultimatum der Bolschewiken an Kronstadt 32

    VI. Der erste Schuß 39

    VII. Die Niederlage von Kronstadt 42

    Nachwort des Verfassers 47

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    Alexander Berkman

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  • zum Ruin und zur Verzweiflung gebracht wurde - all das, aber nichtfreigewählte Sowjets zu gestatten.

    Kann noch jemand in Frage stellen, was der wahre Endzweck derBolschewiken, war? Strebten sie kommunistischen Idealen oder der Re-gierungsmacht nach?

    Kronstadt ist von großer historischer Bedeutsamkeit. Es läutete demBolschewismus mit seiner Parteidiktatur, verruchten Zentralisation,dem Tschekaterrorismus und den bürokratischen Kasten die Totenglo-cke. Es traf die kommunistische Autokratie ins Herz. Zugleich gab esden intelligenten und ehrlichen Denkern von Europa und Amerika denAnstoß zu einer kritischen Prüfung der bolschewistischen Theorie undPraxis. Es zerstörte die bolschewistische Fabel, daß der kommunistischeStaat die „Regierung der Arbeiter und Bauern“ sei. Es erwies die kommu-nistische Parteidiktatur und die russische Revolution als einander ent-gegengesetzt, sich widersprechend und sich gegenseitig ausschließend.Es zeigte das Bolschewikenregime als durch nichts gemilderte Tyranneiund Reaktion, und daß der kommunistische Staat selbst die mächtigsteund gefährlichste Gegenrevolution ist.

    Kronstadt fiel. Aber es fiel siegreich in seinem Idealismus und seinermoralischen Reinheit, seinem Edelmut und seiner höheren Menschlich-keit. Kronstadt war prachtvoll. Es empfand gerechten Stolz darüber, dasBlut seiner Feinde, der Kommunisten, in seiner Mitte nicht vergossenzu haben. Es nahm keine Hinrichtungen vor. Die ungelehrten, unverfei-nerten Matrosen, rauh in Sprache und Manieren, waren zu edel, das bol-schewistische Rachebeispiel nachzuahmen: sie wollten nicht einmal dieverhaßten Kommissäre erschießen. Kronstadt personifizierte den edel-mütigen, allverzeihenden Geist der slavischen Seele und die Jahrhun-derte alte Befreiungsbewegung Rußlands.

    Kronstadt war der erste volksmäßige und ganz unabhängige Versucheiner Befreiung vom Joch des Staatssozialismus - ein direkt vom Volk,von den Arbeitern, Soldaten undMatrosen selbst gemachter Versuch. Eswar der erste Schritt zur Dritten Revolution, die unvermeidlich ist unddie, hoffen wir es, dem lange leidenden Rußland dauernde Freiheit undFrieden bringen wird.

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    I. Arbeiterunruhen in Petrograd

    Es war im Beginn von 1921. Lange Jahre Krieg, Revolution und innereKämpfe hatten Rußland bis zur Erschöpfung zur Ader gelassen und seinVolk an den Rand der Verzweiflung gebracht. Endlich aber war der Bür-gerkrieg zu Ende: die zahlreichen Fronten waren aufgelöst undWrangel- die letzte Hoffnung der Intervention der Entente und der russischenGegenrevolution - war besiegt und seine militärische Tätigkeit auf rus-sischem Grund und Boden zum Ende gebracht. Das Volk sah nun ver-trauensvoll einer Milderung des strengen bolschewistischen Regimentsentgegen. Man erwartete, daß nach Beendigung des Bürgerkrieges dieKommunisten die Lasten erleichtern, Einschränkungen aus der Kriegs-zeit abschaffen, einige grundlegende Freiheiten einführen und mit derOrganisation eines normaleren Lebens einen Anfang machen würden.Die bolschewistische Regierung war zwar weit entfernt davon populärzu sein, hatte aber die Unterstützung der Arbeiter in ihrem oft ange-kündigten Plan der Aufnahme des ökonomischen Wiederaufbaus desLandes, sobald nur die militärischen Operationen aufgehört hätten. DasVolk war begierig, mitzuarbeiten, seine Initiative und schöpferischenBemühungen dem Aufbau des ruinierten Landes zu widmen.

    Unglücklicherweise waren diese Erwartungen dazu verurteilt, ent-täuscht zu werden. Der kommunistische Staat zeigte keine Absicht, dasJoch zu lockern. Die alte Politik wurde fortgesetzt, die Arbeitsmilitari-sierung versklavte das Volk immer weiter, erbitterte es durch neue Un-terdrückung und Tyrannisierung und lähmte daher jede Möglichkeit ei-ner Wiederbelebung der Industrie. Die letzte Hoffnung des Proletariatsging unter: die Überzeugung wuchs, daß die kommunistische Partei eingrößeres Interesse daran hatte, die politische Macht in ihrem Besitz zubehalten, als die Revolution zu retten.

    3

  • Die revolutionärsten Elemente Rußlands, die Arbeiter von Petrograd,erhoben zuerst ihre Stimme. Sie erhoben den Vorwurf, daß von anderenUrsachen abgesehen, die bolschewistische Zentralisation, Bürokratieund das autokratische Verhalten gegen die Bauern und Arbeiter direktfür einen großen Teil des Elends und Leidens des Volkes verantwort-lich wären. VieleWerke und Fabriken von Petrograd waren geschlossenworden und die Arbeiter litten buchstäblich Hunger. Ihre zur Erwägungder Lage einberufenen Versammlungen wurden von der Regierung un-terdrückt. Das Proletariat von Petrograd, das in der ersten Linie der revo-lutionären Kämpfe gestanden, und dessen große Opfer und Heroismusallein die Stadt vor Judenitsch gerettet hatten, empfand Unwille gegendieses Vorgehen der Regierung. Die Mißstimmung gegen die von denBolschewiki befolgten Methoden wuchs beständig. Weitere Versamm-lungen wurden einberufen und das gleiche geschah. Die Kommunistenwollten dem Proletariat keine Zugeständnisse machen, während sie zugleicher Zeit zu Kompromissen mit den europäischen und amerikani-schen Kapitalisten erbötig waren. Die Arbeiter wurden ungehalten undes entstand Aufregung. Um die Regierung zu zwingen, ihren Forderun-gen Rechnung zu tragen, wurden Streiks proklamiert in den PatronnysMunitionswerkstätten, den Trubotschny- und Baltiyskiwerken und derFabrik Laferme. Statt die Verhältnisse mit den unzufriedenen Arbeiternzu besprechen, setzte die „Arbeiter- und Bauernregierung“ ein kriegs-mäßiges Komitet Oborony (Verteidigungskomitee) ein mit Zinowiew,dem verhaßtesten Mann von Petrograd, als Vorsitzenden. Das offeneZiel dieses Komitees war die Unterdrückung der Streikbewegung.

    Am 24. Februar waren die Streiks erklärt worden. Am selben Tageschickten die Bolschewisten die Kursanti, die kommunistischen Studie-renden der Militärakademie (Drilloffiziere für Armee und Flotte) aus,um die auf dem Wassilewsky Ostrow, dem Petrograder Arbeiterdistriktangesammelten Arbeiter zu zerstreuen. Den Tag darauf, am 25., such-ten die entrüsteten Streiker vom Wassilewsky Ostrow die Admiralitäts-werkstätten und Galernaya-Docks auf und veranlaßten die dortigen Ar-beiter, sich ihrem Protest gegen das autokratische Verhalten der Regie-

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    war es zu spät. In der Pariser Kommune wie in der Kronstädter Erhe-bung erwies sich die Neigung zu passiver, defensiver Taktik als verhäng-nisvoll.

    Kronstadt fiel. Die Kronstädter Bewegung für freie Sowjets wurdeim Blut erstickt, während gleichzeitig die Bolschewikenregierung miteuropäischen Kapitalisten Kompromisse abschloß, den Rigaer Friedenunterzeichnete, der zwölf Millionen Bevölkerung der Gnade Polens aus-lieferte, und dem türkischen Imperialismus half, die kaukasischen Repu-bliken zu unterdrücken.

    Aber der „Triumph“ der Bolschewiken über Kronstadt schloß die Nie-derlage des Bolschewismus in sich. Er legte den wahren Charakter derKommunistischen Diktatur bloß. Die Kommunisten erwiesen sich alswillig, den Kommunismus zu opfern, beinahe jeden Kompromiß mitdem internationalen Kapitalismus abzuschließen, aber sie wiesen die ge-rechten Forderungen ihres eigenen Volkes zurück - Forderungen, wel-che den Oktoberschlagwörtern der Bolschewiken selbst Ausdruck ga-ben: durch direkte und geheimeWahlen gewählte Sowjets, der Konstitu-tion der russischen sozialistischen föderativen Sowjetrepublik entspre-chend, und Rede- und Pressefreiheit für die revolutionären Parteien.

    Der Zehnte Allrussische Kongreß der kommunistischen Partei tagteinMoskau zur Zeit der Kronstädter Erhebung. Auf diesemKongreßwur-de die ganze bolschewistische ökonomische Politik geändert als eineFolge der Ereignisse von Kronstadt und der ähnlich drohenden Haltungdes Volkes in verschiedenen anderen Teilen von Rußland und Sibirien.Die Bolschewiken zogen es vor, ihre grundlegende Politik umzustür-zen, die raswerstka (zwangsweise Requisition) abzuschaffen, Handels-freiheit einzuführen, Konzessionen an Kapitalisten zu erteilen und denKommunismus selbst aufzugeben - den Kommunismus, für welchen dieOktoberrevolution ausgekämpft, Ströme Bluts vergossen und Rußland

    benutzten die Bolschewiken die Festung als einen sehr gelegenen Punkt zum Angriffgegen Kronstadt. Unter den in Oranienbaum Hingerichteten befanden sich: Kolossow,Divisionschef der Luftstreitkräfte der Roten Armee und Vorsitzender des gerade in Ora-nienbaum organisierten Provisorischen Revolutionären Komitees, Balachanow, Sekre-tär dieses Komitees und die Komiteemitglieder Romanow, Wladimirow, etc. A.B.

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  • muß sich ausbreiten und entwickeln. Eine Rebellion, die sich auf eineLokalität beschränkt, eine abwartende Politik befolgt oder eine defensi-ve Haltung einnimmt, ist unvermeidlich zur Niederlage verurteilt.

    In dieser Beziehung besonders wiederholte Kronstadt die Verhängnis-vollen strategischen Fehler der Pariser Kommunarden. Diese befolgtenden Rat jener nicht, welche einen sofortigen Angriff auf Versailles be-fürworteten, solange die Regierung von Thiers desorganisiert war. Sietrugen die Revolution nicht ins Land hinaus. Weder die Pariser Arbei-ter von 1871, noch die Matrosen von Kronstadt suchten die Regierungabzuschaffen. Die Kommunarden wollten nur gewisse republikanischeFreiheiten, und als die Regierung versuchte, sie zu entwaffnen, vertrie-ben sie die Minister von Thiers aus Paris, richteten ihre Freiheiten einund bereiteten sich zu ihrer Verteidigung vor - weiter nichts. So ver-langte auch Kronstadt nur freie Wahlen zu den Sowjets. Nach der Ver-haftung einiger Kommissäre bereiteten sich die Matrosen auf die Ver-teidigung gegen den Angriff vor. Kronstadt weigerte sich, den Rat dermilitärischen Sachverständigen zu befolgen und Oranienbaum sofortzu nehmen. Diese Stellung hatte den größten militärischen Wert, undes lagerten dort 50.000 Pud1 Weizen, die Kronstadt gehörten. Eine Lan-dung in Oranienbaum war ausführbar, da die Bolschewiken von demAusbruch überrascht worden waren und keine Zeit gehabt hatten, Ver-stärkungen heranzubringen. Aber die Matrosen wollten nicht die Offen-sive ergreifen, und so ging der psychologische Moment verloren. EinigeTage später, als die Erklärungen und Taten der bolschewistischen Regie-rung Kronstadt überzeugten, daß es in einen Kampf auf Leben und Todverwickelt war, da war es zu spät, den Fehler wieder gutzumachen.2

    Ebenso erging es der Pariser Kommune. Als die Logik des ihr aufge-zwungenen Kampfes die Notwendigkeit erwies, das Regime von Thiersnicht nur in der eigenen Stadt, sondern im ganzen Lande abzuschaffen,

    1 Ein Pud sind 40 russische oder ungefähr 36 englische Pfund.2 Das Unterlassen Kronstadts Oranienbaum zu nehmen, gab der Regierung Gele-

    genheit, diese Festung durch ihre verläßlichsten Regimenter zu verstärken, die „ange-steckten“ Teile der Garnison zu eliminieren und die Leiter des Luftgeschwaders hinzu-richten, welches im Begriff stand, sich den Kronstädter Rebellen anzuschließen. Später

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    rung anzuschließen. Die versuchte Straßendemonstration der Streiken-den wurde von bewaffneten Soldaten zerstreut.

    Am 26. Februar hielt der Petrograder Sowjet eine Sitzung ab, in wel-cher der hervorragende Kommunist Laschewitsch, Mitglied des Vertei-digungskomitees und des revolutionären Militärrats der Republik, dieStreikbewegung in den schärfsten Ausdrücken angriff. Er beschuldig-te die Arbeiter der Trubotschny-Fabrik zur Unzufriedenheit aufzurei-zen, klagte sie an „..selbstsüchtige Arbeitsschinder (schkurniki) und Ge-genrevolutionäre“ zu sein und schlug die Schließung der Trubotschny-Fabrik vor. Das Exekutivkomitee des Petrograder Sowjets (VorsitzenderZinowiew) nahm den Vorschlag an. Die Trubotschny-Streiker wurdenausgesperrt und so automatisch ihrer Rationen beraubt.

    Diese Art des Vorgehens der bolschewistischen Regierung führte zuweiterer Erbitterung und Gegnerschaft der Arbeiter.

    Proklamationen der Streikenden begannen sich jetzt in den Straßenvon Petrograd zu zeigen. Einige derselben nahmen ausgesprochenen po-litischen Charakter an; so liest man in der bezeichnendsten derselben,die am 27. Februar an die Mauern geklebt wurde:

    Eine vollständige Änderung der Regierungspolitik ist notwen-dig. Zu allererst brauchen die Arbeiter und Bauern Freiheit. Sie wollennicht nach den Dekreten der Bolschewiki leben, sie wollen selbst übersich verfügen.

    Genossen, bewahrt revolutionäre Ordnung! Verlangt entschiedenund auf organisierte Weise:

    • Freilassung aller verhafteten Sozialisten und parteilosen Arbeiter.

    • Abschaffung des Kriegsrechts; Rede-, Presse- und Versammlungsfrei-heit für alle Arbeitenden.

    • Freie Wahl von Werkstatt- und Fabrikkomitees (sawkomi) und vonArbeitergesellschafts- und Sowjetvertretern.

    • Beruft Versammlungen ein, schickt eure Delegierten an die Behördenund seid für die Durchsetzung eurer Forderungen tätig.

    5

  • Die Regierung antwortete auf die Forderungen der Streiker durchzahlreiche Verhaftungen und die Unterdrückung mehrerer Arbeiteror-ganisationen. Dieses Vorgehen machte die Volksstimmung noch anti-bolschewistischer; reaktionäre Schlagwörter machten sich hörbar. Soerschien am 28. Februar eine Proklamation der „Sozialistischen Arbei-ter des Newsky-Distrikt“, die mit einem Aufruf für die KonstituierendeVersammlung schloß:

    Wir wissen, wer sich vor der Konstituierenden Versammlung fürchtet.Das sind die, die nicht länger imstande sein werden, das Volk zu plündern.Statt dessen werden sie sich vor den Volksvertretern zu verantworten habenfür ihren Betrug, ihre Räubereien und all ihre Verbrechen.

    Nieder mit den verhaßten Kommunisten!Nieder mit der Sowjetregierung!

    Es lebe die Konstituierende Versammlung!

    Unterdessen konzentrierten die Bolschewiki in Petrograd großeMen-gen Militär aus der Provinz und ließen auch ihre zuverlässigsten kom-munistischen Regimenter von der Front in die Stadt kommen. Petrogradwurde unter „außerordentliches Kriegsrecht“ gestellt. Die Streiker wur-den eingeschüchtert und die Bewegung der Arbeiter mit eiserner Handerdrückt.

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    Nachwort des Verfassers

    Lehren und Bedeutung von KronstadtDie Kronstädter Bewegung war spontan, unvorbereitet und friedlich.

    Daß ein bewaffneter Konflikt aus ihr wurde, der mit einer blutigen Tra-gödie endete, war einzig durch den tartarischen Despotismus der Kom-munistischen Diktatur verschuldet.

    Obgleich Kronstadt den allgemeinen Charakter der Bolschewiken er-kannte, hatte es noch immer den Glauben an die Möglichkeit einerfreundschaftlichen Lösung. Es glaubte, daß die kommunistische Regie-rung der Vernunft zugänglich sei, es schrieb ihr ein gewisses Gefühl fürGerechtigkeit und Freiheit zugut.

    Die Erfahrung von Kronstadt beweist von neuem, daß die Regierung,der Staat - welches immer sein Name oder seine Form seien - stets derTodfeind der Freiheit und Selbstbestimmung ist. Der Staat hat keine See-le, kein Prinzip. Er hat nur ein Ziel - sich derMacht zu versichern und sieum jeden Preis zu behalten. Dies ist die politische Lehre von Kronstadt.

    Es gibt eine andere Lehre, eine strategische, die jede Rebellion lehrt.Der Erfolg einer Erhebung ist bedingt durch ihre Entschlossenheit, En-ergie und Aggressivität. Die Rebellen haben das Gefühl der Massen aufihrer Seite. Dieses Gefühl schlägt schneller, wenn die Flut der Rebellionanschwillt. Man darf nicht erlauben, daß es sich legt und verblaßt undzur Farblosigkeit des täglichen Lebens zurückkehrt.

    Andererseits hat jede Erhebung die mächtige Staatsmaschine gegensich. Die Regierung ist in der Lage, die Quellen aller Zufuhr und dieVerkehrsmittel in ihren Händen zu konzentrieren. Es darf ihr nicht Zeitgegeben werden, von ihrer Macht Gebrauch zu machen. Eine Rebelli-on sollte kräftig sein und unerwartete und entschiedene Schläge füh-ren. Sie darf nicht lokalisiert bleiben, denn dies bedeutet Stagnation. Sie

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  • von Kronstadt, die sich gegen die Bolschewikenbürokratie erhoben undim März 1921 das Wort der Revolution vom Oktober 1917 proklamierthatten: „Alle Macht den Sowjets!“

    46

    II. Die Bewegung von Kronstadt

    Die Matrosen von Kronstadt wurden durch die Petersburger Vorgän-ge sehr aufgeregt. Sie betrachteten die drastische Behandlung der Strei-kenden durch die Regierung mit finsteren Blicken. Sie wußten, was dasrevolutionäre Proletariat der Hauptstadt seit den ersten Tagen der Re-volution zu tragen gehabt hatte, wie heroisch es gegen Judenitsch ge-kämpft hatte und wie geduldig es Entbehrungen und Elend ertrug. AberKronstadt war weit entfernt davon, die Konstituierende Versammlungzu begünstigen oder die Forderung nach Handelsfreiheit, die sich in Pe-trograd bemerkbar machte. Die Matrosen waren in Geist und Tat durchund durch revolutionär, sie waren die festesten Stützen des Sowjetsys-tems, aber sie waren Gegner der Diktatur irgendeiner politischen Partei.

    Die Sympathiebewegung mit den Petersburger Streikern nahm ihrenAnfang unter den Matrosen der Kriegsschiffe Petropawlowsk und Se-wastopol, derselben Schiffe, die 1917 die Hauptstützen der Bolschewikigewesen waren. Die Bewegung verbreitete sich über die ganze Kron-städter Flotte, dann unter den dort stationierten Regimentern der RotenArmee. Am 28. Februar nahmen die Leute des Petropawlowsk eine Re-solution an, der auch die Matrosen des Sewastopol zustimmten, in derunter anderem die freie Neuwahl des Kronstädter Sowjets verlangt wur-de, da dessen Amtsdauer ihrem Ende entgegenging. Zugleich wurde einMatrosenkomitee nach Petrograd geschickt, um sich über die dortigeLage zu unterrichten.

    Am 1. März wurde auf dem Jakornyplatz in Kronstadt eine öffentlicheVersammlung abgehalten, offiziell einberufen von den Mannschaftendes ersten und zweiten Geschwaders der Ostseeflotte; 16.000 Matrosen,Soldaten der Roten Armee und Arbeiter waren anwesend. Der Vorsit-zende des Exekutivkomitees des Kronstädter Sowjets, der Kommunist

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  • Wassiliew präsidierte. Der Präsident der Russischen sozialistischen Fö-derativrepublik Kalinin und der Kommissar der Ostseeflotte Kusminwa-ren anwesend und sprachen zur Versammlung. Als ein Kennzeichen derfreundlichen Stellung der Matrosen zur bolschewistischen Regierungsei erwähnt, daß Kalinin bei seiner Ankunft in Kronstadt mit militäri-schen Ehren, Musik und Fahnen empfangen wurde.

    Dieser Versammlung erstattete das am 28. Februar nach Petrograd ge-schickteMatrosenkomitee seinen Bericht. Er bestätigte die schlimmstenBefürchtungen Kronstadts. Die Versammlung sprach ihre Entrüstungüber die Methoden der Kommunisten bei der Niedertretung der beschei-denen Forderungen der Petrograder Arbeiter unverhohlen aus. Die vomPetropawlowsk am 28. Februar angenommene Resolution wurde dannvorgelegt. Präsident Kalinin und Kommissär Kusmin griffen dieselbe bit-ter an und klagte die Petrograder Streiker und die KronstädterMatrosenan. Aber ihre Argumente machten auf die Zuhörer keinen Eindruck unddie Petropawlowsk-Resolution wurde einstimmig angenommen. Dieseshistorische Dokument lautet:

    Resolution der allgemeinen Versammlung der Mannschaften des ers-ten und zweiten Geschwaders der Ostseeflotte, abgehalten am 1. März1921.

    Nach Anhörung des Berichts der von der allgemeinen Versammlungder Schiffsmannschaften nach Petrograd zur Untersuchung der dortigenLage geschickten Vertreter wird beschlossen:

    1. Angesichts der Tatsache, daß die gegenwärtigen Sowjets den Wil-len der Arbeiter und Bauern nicht ausdrücken, sofort neue Wahlenmit geheimer Abstimmung abzuhalten, wobei die vorherige Wahl-kampagne volle Agitationsfreiheit unter den Arbeitern und Bauernhaben muß.

    2. Rede- und Pressefreiheit einzuführen für Arbeiter und Bauern, An-archisten und linksstehende sozialistische Parteien.

    3. Versammlungsfreiheit für Arbeitergesellschaften und Bauernorgani-sationen zu sichern.

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    zum geringsten Detail nach den Anweisungen des Hauptkommandan-ten Tuchatschewsky und dem Feldstab des südlichen Korps ausgearbei-tet worden. … Als es dunkel wurde, begann der Angriff auf die Forts.Die weißen Tücher und der Mut der Kursanti ermöglichten, daß wir inKolonnen vordringen konnten.“

    AmMorgen des 17. März waren eine Anzahl Forts genommen. Durchdie schwächste Stelle von Kronstadt - das Petrograder Tor - brachen dieBolschewiken in die Stadt ein und nun begann dort das brutalste Ge-metzel. Die von den Matrosen geschonten Kommunisten verrieten sienun und griffen von rückwärts an. Der Kommissär der Ostseeflotte, Kus-min, und der Vorsitzende des Kronstädter Sowjet, Wassiljew, von denKommunisten aus dem Gefängnis befreit, nahmen nun an dem Straßen-kampf von Mann zu Mann teil, Bruderblut vergießend. Bis spät nachtsdauerte der verzweifelte Kampf der Matrosen und Soldaten von Kron-stadt gegen drückende Übermacht. Die Stadt, die fünfzehn Tage langkeinen einzigen Kommunisten ein Haar gekrümmt hatte, war nun rotvom strömenden Blut ihrer Männer, Frauen und selbst Kinder.

    Dibenko, zum Kommissär von Kronstadt ernannt, erhielt absoluteVollmacht „die meuterische Stadt zu reinigen“. Eine Racheorgie folgte,bei welcher die Tscheka zahlreiche Opfer verlangte für ihre nächtlicheMassenerschießung (rasstrel).

    Am 18. März feierten die Bolschewikenregierung und die RussischeKommunistische Partei öffentlich die Erinnerung an die Pariser Kom-mune von 1871, die von Gallifet und Thiers im Blut der französischenArbeiter ertränkt wurde. Zur gleichen Zeit feierten sie den „Sieg“ überKronstadt.

    Einige Wochen hindurch waren die Petrograder Gefängnisse mitHunderten Gefangenen aus Kronstadt angefüllt. Jede Nacht wurdenkleine Gruppen derselben auf Befehl der Tscheka herausgenommen undverschwanden, - um nie mehr lebend gesehen zu werden. Unter denletzten der Erschossenen war Perepelkin, Mitglied des ProvisorischenRevolutionären Komitees von Kronstadt.

    Die Gefängnisse und Konzentrationslager in dem eisigen Distrikt vonArchangelsk und Kerker im fernen Turkestan töten langsam dieMänner

    45

  • werden sollte. Es ist unmöglich, daß die Explosion von Kron-stadt nicht ganz Rußland und zuerst von allen Petrograd er-wecken sollte.

    Aber es kam keine Hilfe, und Kronstadt wurde jeden Tag mehr er-schöpft. Die Bolschewiken häuften fortwährend frische Truppen gegendie belagerte Festung und schwächten sie durch beständige Angriffe.Dazu kam, daß jeder Vorteil auf Seite der Kommunisten war, Zahl, Mit-tel und Position. Kronstadt war nicht gebaut, um einenAngriff von rück-wärts aushalten zu können. Das von den Bolschewiken verbreitete Ge-rücht, daß dieMatrosen Petrograd zu bombardieren beabsichtigten, warhandgreiflich falsch. Die berühmte Festung war einzig geplant worden,um als Verteidigung Petrograds gegen von der See her sich näherndefremde Feinde zu dienen. Ferner waren für den Fall, daß ein Feind vonaußen sich der Stadt bemächtigen würde, die Küstenbatterien und Fortsvon Krasnaja Gorka auf eine zum Kampf gegen Kronstadt berechneteWeise angelegt worden. In Voraussicht einer solchen Möglichkeit warbeim Bau absichtlich unterlassen worden, der Rückseite von KronstadtStärke zu geben.

    Fast jede Nacht setzten die Bolschewiken ihre Angriffe fort. Den gan-zen 10. März hindurch feuerte kommunistische Artillerie beständig vonder Süd- und Nordküste. In der Nacht vom 12. zum 13. griffen die Kom-munisten vom Süden her an und bedienten sich wieder der weißen Tü-cher und opferten viele Hundert Kursanti. Kronstadt wehrte sich ver-zweifelt, trotz vieler schlafloser Nächte und Mangel an Lebensmittelnund Verteidigern. Es kämpfte auf das tapferste gegen gleichzeitige An-griffe von Norden, Osten und Süden, während die Kronstädter Batteriendie Festung nur an ihrer Westseite verteidigen konnten. Den Matrosenfehlte sogar ein Eisbrecher, um die Annäherung der kommunistischenKräfte unmöglich zu machen.

    Am 16. März machten die Bolschewiken einen gleichzeitigen kon-zentrischen Angriff von drei Seiten - Norden, Süden und Osten. „DerAngriffsplan“, erklärte später Dibenko, früher bolschewistischer Schiffs-kommissär und später Diktator des unterlegenen Kronstadt, „war bis

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    4. Eine parteilose Konferenz der Arbeiter, Soldaten der Roten ArmeeundMatrosen von Petrograd, Kronstadt und der Petrograder Provinzfür nicht später als den 10. März 1921 einzuberufen.

    5. Alle politischen Gefangenen der sozialistischen Parteien und alle inVerbindung mit Arbeiter- und Bauernbewegungen eingesperrten Ar-beiter, Bauern, Soldaten und Matrosen zu befreien.

    6. Eine Kommission zu wählen zur Revision der Fälle der in Gefäng-nissen und Konzentrationslagern Befindlichen.

    7. Alle politotdell (politischen Büros) abzuschaffen, weil keine Parteispezielle Privilegien zur Propagierung ihrer Ideen besitzen oder zusolchen Zwecken finanzielle Regierungshilfe erhalten soll. An derenStelle sollten erzieherische und kulturelle Kommissionen errichtetwerden, lokal gewählt und von der Regierung finanziert.

    8. Sofort alle sagryadltelniye otryadi1 abzuschaffen.

    9. Die Rationen aller Arbeitenden gleichzumachen, mit Ausnahme derin gesundheitsschädlichen Beschäftigungen Tätigen.

    10. Die kommunistischen Kampfabteilungen in allen Zweigen der Ar-mee und die Kommunistischen Wachen, die in Werken und Fabri-ken Dienst tun, abzuschaffen. Sollten solche Wachen oder militäri-sche Abteilungen sich als notwendig herausstellen, sind sie in derArmee aus der Mannschaft zu ernennen und in den Fabriken nachder Wahl der Arbeiter.

    11. Den Bauern volle Aktionsfreiheit in bezug auf ihr Land zugeben,ebenso das Recht, Vieh zu halten, unter der Bedingung, daß sie mit

    1 Bewaffnete Gruppen, die von den Bolschewiki organisiert sind zur Unterdrü-ckung des Handels und zur Konfiskation von Lebensmitteln und anderen Produkten.Die Verantwortungslosigkeit und Willkür ihres Vorgehens waren im ganzen Landsprichwörtlich. Die Regierung schaffte sie in der Petrograder Provinz am Vorabend ih-res Angriffs gegen Kronstadt ab - ein Bestechungsversuch an dem Petrograder Proleta-

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  • ihren eigenen Mitteln auskommen, das heißt ohne gedungene Ar-beitskräfte zu verwenden.

    12. Alle Zweige der Armee und unsere Kameraden, die militärischenKursanti zu ersuchen, unseren Beschlüssen beizutreten.

    13. Zu verlangen, daß die Presse unsere Beschlüsse in vollstem Umfangan die Öffentlichkeit bringt.

    14. Eine Reisende Kontrollkommission zu ernennen.

    15. Freie Kustar-Produktion (individuelle in kleinem Maßstab) durchindividuelle Arbeit zu erlauben.

    Resolution einstimmig von der Brigadeversammlung angenommen beiStimmenthaltung von zwei Personen.Petritschenko, Vorsitzender der Brigadeversammlung. Perepelkin, Sekre-

    tär.Resolution von der Kronstädter Garnison mit überwiegender Majorität

    angenommen.Wasslljew, Vorsitzender.Mit Genossen Kalinin zusammen stimmt Wassiljew gegen die

    Resolution.Diese Resolution, der, wie erwähnt, Kalinin und Kusmin stärkste Op-

    position machten, wurde unter deren Protest angenommen. Nach derVersammlung konnte Kalinin unbelästigt nach Petrograd zurückkehren.

    In derselben Brigadeversammlung wurde bestimmt, ein Komiteenach Petrograd zu schicken, um den Arbeitern und der dortigen Gar-nison die Forderungen von Kronstadt zu erklären und um die Entsen-dung parteiloser Delegierter durch das Petersburger Proletariat nachKronstadt zu ersuchen, um sich mit der tatsächlichen Lage und denForderungen der Matrosen bekanntzumachen. Dieses aus dreißig Mit-gliedern bestehende Komitee wurde von den Bolschewiki in Petrograd

    riat. A. B.

    10

    sel von euch, erschöpft und hungrig, kaum fähig sich zu be-wegen zu uns, in eure weißen Leichentücher gekleidet.

    Am frühen Morgen waren schon ungefähr tausend von euchund später am Tage eine endlose Zahl. Ihr habt teuer mit eu-rem Blut dieses Abenteuer bezahlt, und nach euremMißerfolgeilte Trotzki nach Petrograd zurück, um neue Märtyrer zurSchlachtbank zu treiben - denn er bekommt unser Arbeiter-und Bauernblut billig! …

    Kronstadt hegte den tiefen Glauben, daß das Petersburger Proletariatihm zur Hilfe kommen würde. Aber die Arbeiter dort waren terrorisiertund Kronstadt wirksam blockiert und isoliert, so daß tatsächlich vonnirgendwo her Hilfe erwartet werden konnte.

    Die Kronstädter Garnison bestand aus weniger als 14.000 Mann, vondenen 10.000 Matrosen waren. Diese Garnison hatte eine sich weit aus-dehnende Front zu verteidigen, viele über das große Terrain desMeerbu-sens zerstreute Forts und Batterien. Die wiederholten Angriffe der Bol-schewiken, denen die Zentralregierung beständig frische Truppen lie-ferte, der Lebensmittelmangel in der belagerten Stadt, die langen, schlaf-losen Nächte auf Wache in der Kälte, all das untergrub die Lebenskraftvon Kronstadt. Doch dieMatrosen hielten heldenmütig aus und bewahr-ten bis zuletzt das Vertrauen, daß ihr großes Beispiel der Befreiung imganzen Lande Nachfolger finden und ihnen so Erleichterung und Hilfebringen würde.

    In seinem „Appell an die Genossen Arbeiter und Bauern“ sagt dasProvisorische Revolutionäre Komitee (Izvestia Nr. 9, 11. März):

    Genossen, Arbeiter, Kronstadt kämpft für euch, für die Hung-rigen, die Frierenden, die Nackten. … Kronstadt erhob dasBanner der Rebellion und hegt das Vertrauen, daß DutzendeMillionen von Arbeitern und Bauern seinem Ruf folgen wer-den. Es ist unmöglich, daß der Tagesanbruch, der in Kronstadtbegonnen, nicht glänzender Sonnenschein für ganz Rußland

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  • VII. Die Niederlage von Kronstadt

    Auf das am Abend des 7. März begonnene Artilleriebombardementvon Kronstadt folgte der Versuch, die Festung durch Sturm zu nehmen.Der Angriff erfolgte von Norden und Süden durch ausgesuchte kommu-nistische Truppen, die in weiße Tücher gekleidet waren, deren Schutz-farbe sich mit der des Schnees mischte, der den gefrorenen finnischenMeerbusen dicht bedeckte. Diese ersten schrecklichen Versuche, die Fes-tung zu stürmen, mit rücksichtslosen Opfern anMenschen, wurden vonden Matrosen beklagt in rührendem Mitleid mit ihren Waffenbrüdern,die getäuscht wordenwaren, so daß sie Kronstadt für gegenrevolutionärhielten. Am 8. März wurde in der Izvestia geschrieben:

    Wir wollten das Blut unserer Brüder nicht vergießen und feu-erten keinen Schuß ab, bis wir dazu gezwungen waren. Wirmußten die gerechte Sache des arbeitenden Volkes verteidi-gen und schießen - auf unsere Brüder, die von Kommunisten,die auf Kosten des Volkes fett geworden, in den sicheren Todgeschickt wurden.

    … Zu eurem Unglück erhob sich ein schrecklicher Schnee-sturm, und finstere Nacht hüllte alles in Dunkel. Trotzdemtrieben euch die kommunistischen Henker, keine Kosten spa-rend, über das Eis und bedrohten euch im Rücken mit ih-ren von kommunistischen Abteilungen gehandhabten Ma-schinengewehren.

    Viele von euch gingen diese Nacht zugrunde auf der großenEisdecke des finnischen Golfs. Und als der Morgen anbrachund der Sturm sich legte, kamen nur jammervolle Überbleib-

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    verhaftet. Dies war der erste Schlag der kommunistischen Regierunggegen Kronstadt. Das Schicksal des Komitees blieb ein Rätsel.

    Da die Amtsdauer der Mitglieder des Kronstädter Sowjet ihrem En-de nahe war, entschied sich die Brigadeversammlung auch für Einbe-rufung einer Delegiertenkonferenz am 2. März zur Diskussion der Artder Vornahme der neuenWahlen. Diese Konferenz sollte aus Vertreternder Schiffe, der Garnison, der verschiedenen Sowjetinstitutionen, derArbeitergesellschaften und Fabriken bestehen, mit zwei Delegierten fürjede Organisation.

    Die Konferenz vom 2. März fand im Erziehungshause (der früherenKronstädter Schule für Ingenieurwesen) statt und war von über 300 De-legierten besucht, darunter auch Kommunisten. Die Versammlung wur-de von dem Matrosen Petritschenko eröffnet und ein Präsidium (Exe-kutivkomitee) von fünf Mitgliedern wurde durch Zuruf gewählt. DieHauptfrage für die Delegierten war, daß die kommenden Neuwahlendes Kronstädter Sowjet auf gerechterer Grundlage als bis dahin statt-finden sollten. Die Versammlung sollte auch für die Resolutionen des1. März tätig sein und Wege und Mittel in Erwägung ziehen, um demLand aus der durch Hunger undMangel an Brennmaterial verursachtenverzweifelten Lage herauszuhelfen.

    Der Geist der Konferenz war durchaus sowjetistisch: Kronstadt ver-langte Sowjets, die von der Einmischung einer politischen Partei freiwären; es verlangte parteilose Sowjets, die die Bedürfnisse der Arbeiterund Bauern wirklich wiedergeben und ihren Willen ausdrücken wür-den. Die Haltung der Delegierten war feindlich gegen die willkürlicheHerrschaft bürokratischer Kommissäre, aber freundlich gegenüber derKommunistischen Partei als solcher. Sie waren feste Anhänger des So-wjetsystems und suchten ernstlich eine Lösung der dringenden Proble-me durch freundliche und friedliche Mittel.

    Kusmin, Kommissär der Ostseeflotte, sprach zuerst zu der Konferenz.Er besaß mehr Energie als Urteilsfähigkeit und das Verständnis der gro-ßen Bedeutung des Augenblicks entging ihm ganz. Er war der Situationnicht gewachsen: er verstand nicht auf Herz und Gemüt dieser einfa-chen Leute zu wirken, der Seeleute und Arbeiter, die der Revolution

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  • solche Opfer gebracht hatten und nun bis zur Verzweiflung erschöpftwaren. Die Delegierten hatten sich versammelt, ummit den Regierungs-vertretern zu beraten. Statt dessen spielte Kusmins Rede die Rolle ei-nes auf Pulver geworfenen Feuerbrandes. Er entzündete die Konferenzdurch seine Anmaßung und Unverschämtheit. Er bestritt die Existenzvon Arbeiterunruhen in Petrograd, erklärte, die Stadt sei ruhig und dieArbeiter zufrieden. Er pries die Tätigkeit der Kommissäre, stellte die re-volutionären Motive von Kronstadt in Frage und warnte vor Gefahr, dievon Polen her drohte. Er ließ sich zu unwürdigen Unterstellungen her-ab und donnerte Drohungen. „Wenn ihr offenen Krieg wollt“, so schloßKusmin, „so werdet ihr ihn bekommen, denn die Kommunisten werdendie Zügel der Regierung nicht fahren lassen. Wir werden bis zum Äu-ßersten kämpfen.“

    Diese taktlose und herausfordernde Rede des Kommissärs der Ost-seeflotte diente dazu, die Delegierten zu insultieren und gröblich zubeleidigen. Die Ansprache des nächsten Redners, des Vorsitzenden desKronstädter Sowjets, des Kommunisten Wassiljew, machte keinen Ein-druck auf die Zuhörer: er war farblos und unbestimmt. Im Laufe derVersammlung wurde die allgemeine Haltung deutlich antibolschewis-tischer. Trotzdem hofften die Delegierten zu irgendeiner freundlichenVerständigung mit den Regierungsvertretern zu gelangen. Aber es wur-de alsbald klar, erklärt der offizielle Bericht2, daß „wir in die Genos-sen Kusmin und Wassiljew nicht länger Vertrauen haben konnten, unddaß es notwendig wurde, sie zeitweilig in Verhaft zu nehmen, besondersweil die Kommunisten Waffen besaßen und wir zu den Telephonen kei-nen Zutritt hatten. Die Soldaten hatten Angst vor den Kommissären,wie der in der Versammlung verlesene Brief bewies, und die Kommu-nisten erlaubten keine Zusammenkünfte der Garnison.“

    Kusmin und Wassiljew wurden also aus der Versammlung entferntund unter Arrest gestellt. Es ist für den Geist der Konferenz charakteris-tisch, daß der Antrag, die übrigen anwesenden Kommunisten zu verhaf-

    2 Izvestia des Provisorischen Revolutionären Komitees von Kronstadt Nr.9, 11.März 1921.

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    Mögen die Arbeiter der ganzen Welt wissen, daß wir, die Ver-teidiger der Sowjetmacht, die Eroberungen der Sozialen Revo-lution bewachen.

    Wir werden siegen oder unter den Ruinen von Kronstadt un-tergehen, im Kampf für die gerechte Sache der arbeitendenMassen.

    Die Arbeiter derWelt werden unsere Richter sein. Das Blut derUnschuldigen wird auf die Häupter der autoritätstrunkenenkommunistischen Fanatiker fallen.

    Es lebe die Macht der Sowjets!

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  • Grüßen an die arbeitenden Frauen derWelt, eine für die Psychologie derRebellenstadt äußerst charakteristische Handlung. Das Radio lautete:

    Heute ist ein allgemeiner Feiertag - der Tag der arbeitendenFrauen. Wir in Kronstadt schicken unter dem Donner der Ka-nonen unsere brüderlichen Grüße den Arbeiterinnen der Welt.… Möget ihr bald eure Befreiung von jeder Form von Gewaltund Unterdrückung zustande bringen. … Es leben die freienrevolutionären arbeitenden Frauen! Es lebe die Soziale Revo-lution über die ganze Welt hin!

    Nicht weniger charakteristisch war der herzzerreißende Schrei Kron-stadts „Möge es die ganze Welt wissen“, der nach dem Abfeuern desersten Schusses in Nr. 6 der Izvestia, 8. März, veröffentlicht wurde:

    Der erste Schuß ist gefallen. … Knietief im Blut der Arbeiterstehend eröffnete Marschall Trotzki zuerst das Feuer gegendas revolutionäre Kronstadt, das sich gegen die Autokratie derKommunisten erhoben hat, um die wahre Macht der Sowjetszu begründen.

    Ohne einen Tropfen Blut zu vergießen hatten wir, Männer derRoten Armee, Matrosen und Arbeiter von Kronstadt, uns vondem Joch der Kommunisten befreit und haben sogar derenLeben erhalten. Durch die Drohung mit Artillerie wollen sieuns jetzt wieder ihrer Tyrannei unterwerfen.

    Da wir kein Blutvergießen wünschen, ersuchten wir, daßparteilose Delegierte des Petrograder Proletariats zu uns ge-schickt würden, um zu erfahren, daß Kronstadt für die Machtder Sowjets kämpft. Aber die Kommunisten haben unsere For-derung den Petrograder Arbeitern vorenthalten und habenjetzt das Feuer eröffnet - die gewöhnliche Antwort der Pseudo-Arbeiter- und Bauernregierung auf die Forderungen der arbei-tenden Massen.

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    ten, mit überwiegender Majorität niedergestimmt wurde. Die Delegier-ten waren der Meinung, die Kommunisten seien als den Vertretern an-derer Organisationen gleichgestellt zu betrachten und müßten gleicheRechte und Behandlung erhalten. Kronstadt war noch immer entschlos-sen, zu einem verbindenden Übereinkommenmit der kommunistischenPartei und der Bolschewikiregierung zu gelangen.

    Die Resolutionen vom 1. März wurden vorgelesen und mit Begeis-terung angenommen. In diesem Augenblick bemächtigte sich der Kon-ferenz große Aufregung, da ein Delegierter erklärte, die Bolschewikenseien im Begriff die Versammlung anzugreifen, und fünfzehn Wagenla-dungen Soldaten und Kommunisten, mit Gewehren und Maschinenge-wehren bewaffnet, seien zu diesem Zweck ausgeschickt worden. „DieseNachricht“, fährt der Bericht der Izvestia fort, „rief leidenschaftlichenZorn unter den Delegierten hervor. Nachforschungen bewiesen bald,daß die Nachricht unbegründet gewesen, aber das Gerücht erhielt sich,daß ein Regiment Kursanti, von dem berüchtigten Tschekisten Dukißgeführt, schon in der Richtung auf das Fort Krasnaja Gorka auf demMarsch sei.“ Angesichts dieser neuenWendung und der DrohungenKus-mins und Kalinins eingedenk, beschäftigte sich die Konferenz sofort mitder Frage der Organisation der Verteidigung von Kronstadt gegen einenbolschewistischen Angriff. Die Zeit drängte und man beschloß, das Prä-sidium der Konferenz in ein Provisorisches Revolutionäres Komitee zuverwandeln, das denAuftrag hatte, für die Ruhe und Sicherheit der Stadtzu sorgen. Dieses Komitee sollte auch die notwendigen Vorbereitungenfür die Abhaltung der Neuwahlen zum Kronstädter Sowjet treffen.

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  • III. Die Bolschewikenkampagnegegen Kronstadt

    Petrograd war in starker Nervenspannung. Neue Streiks waren aus-gebrochen, und beständige Gerüchte von Arbeiterunruhen in Moskauund Bauernerhebungen im Osten und in Sibirien gingen um. Da eineverläßliche Presse fehlte, schenkte das Volk den übertriebensten undselbst handgreiflich falschen Berichten Glauben. Aller Augen waren aufKronstadt gerichtet, in Erwartung von Vorgängen von ausschlaggeben-der Bedeutung.

    Die Bolschewiken verloren keine Zeit, ihren Angriff gegen Kronstadtzu organisieren. Schon am 2. März gab die Regierung einen prikas (Be-fehl) heraus, von Lenin und Trotzki unterzeichnet, worin die Kronstäd-ter Bewegung als myatezh (Meuterei) gegen die kommunistischen Be-hörden denunziert wurde. In diesem Dokument wurden die Matrosenbeschuldigt, „Werkzeuge früherer zaristischer Generale zu sein, die zu-gleich mit Verrätern aus den Reihen der Sozialist-Revolutionäre eine ge-genrevolutionäre Verschwörung gegen die Proletarische Republik insze-nierten.“ Die Kronstädter Bewegung für freie Sowjets wurde von Leninund Trotzki charakterisiert als „das Produkt von Interventionisten derEntente und französischer Spione.“ „Am 28. Februar“, heißt es in demprikas, „nahmen die Männer vom Petropawlowsk Resolutionen an, dieden Geist der Schwarzen Hundert atmeten. Dann erschien die Gruppedes früheren Generals Koslowsky auf der Szene. Dieser und drei seinerOffiziere, deren Namen noch nicht festgestellt wurden, übernahmen of-fen die Rolle einer Rebellion. So ist die Bedeutung kürzlicher Ereignisseklar geworden. Hinter den Sozialist-Revolutionären steht wieder ein za-ristischer General. Angesichts all dieser Dinge befiehlt der Arbeits- und

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    VI. Der erste Schuß

    Das heroische und edelmütige Kronstadt träumte von der BefreiungRußlands durch die Dritte Revolution, auf deren Initiative es stolz war.Es formulierte kein bestimmtes Programm. Freiheit und universelle Brü-derschaft waren seine Schlagworte. Es stellte sich die Dritte Revolutionals einen allmählichen Befreiungsprozeß vor, dessen erster Schritt diefreie Wahl unabhängiger Sowjets war, die von keiner politischen Parteibeherrscht waren und den Willen des Volkes ausdrückten und seinenInteressen entsprachen. Die warmherzigen, ungetrübt urteilenden Ma-trosen verkündeten den Arbeitern der Welt ihr großes Ideal und riefendas Proletariat auf, sich zum gemeinsamen Kampf anzuschließen, imVertrauen, daß ihre Sache begeisterte Unterstützung finden und daß diePetrograder Arbeiter an allererster Stelle ihnen zu Hilfe eilen würden.

    Unterdessen hatte Trotzki seine Macht gesammelt. Die verläßlichs-ten Divisionen von der Front, Regimenter von Kursanti, Tscheka-Abteilungen und militärische Einheiten, die ausschließlich aus Kommu-nisten bestanden, waren jetzt in den Forts von Ssestroretzk, Lissy Noß,Krasnaja Gorka und anliegenden befestigten Plätzen versammelt. Diegrößten russischen militärischen Sachverständigen wurden eiligst her-beigebracht, um Pläne für die Blockade und den Angriff auf Kronstadtauszuarbeiten und der berüchtigte Tuchatschewski wurde, zum Haupt-kommandanten der Belagerung von Kronstadt ernannt.

    Am 7.März um 6 3/4 Uhr abends feuerten die kommunistischen Batte-rien von Ssestroretzk und Lissy Noß die ersten Schüsse gegen Kronstadtab.

    Es war am Jahrestag des Arbeiterinnentages. Das belagerte und an-gegriffene Kronstadt vergaß den großen Feiertag nicht. Unter dem Feu-er zahlreicher Batterien schickten die tapferen Matrosen ein Radio mit

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  • Petrograd, 5. März 1921.

    Alexander Berkman. Emma Goldman. Perkus. Petrowsky.

    Zinowjew, dem mitgeteilt war, daß ein Schriftstück in Zusammen-hang mit dem Kronstädter Problem dem Verteidigungssowjet vorgelegtwerden sollte, schickte seinen persönlichen Vertreter um dasselbe. Obder Brief von dieser Körperschaft diskutiert wurde, ist dem Verfasserunbekannt. Auf jeden Fall geschah in der Sache nichts.

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    Verteidigungsrat: 1. den früheren General Koslowsky und seine Helferfür außerhalb des Gesetzes stehend zu erklären; 2. die Stadt und Pro-vinz Petrograd unter Kriegsrecht zu stellen; 3. die oberste Gewalt überden ganzen Petrograder Distrikt in die Hände des Petrograder Verteidi-gungskomitees zu legen.“

    Es gab tatsächlich einen früheren General Koslowsky in Kronstadt.Trotzki hatte ihn dorthin geschickt als Artilleriespezialist. Er spieltegar keine Rolle bei den Kronstädter Ereignissen, aber die Bolschewikenbeuteten seinen Namen schlau aus, um die Matrosen als Feinde der So-wjetrepublik und ihre Bewegung als gegenrevolutionär zu denunzieren.Die offizielle bolschewistische Presse begann jetzt ihren Verleumdungs-und Schmähungsfeldzug gegen Kronstadt als Pflanzschule „Weißer Ver-schwörung mit General Koslowsky an der Spitze“ und kommunistischeAgitatoren wurden in die Werke und Fabriken von Petrograd und Mos-kau geschickt, um das Proletariat aufzurufen, „sich zu sammeln zur Un-terstützung und Verteidigung der Arbeiter- und Bauernregierung gegendie gegenrevolutionäre Erhebung in Kronstadt“.

    Die Kronstädter Matrosen hatten mit Generalen und Gegenrevolutio-nären nichts zu tun und weigerten sich sogar, von der Partei der Sozial-Revolutionäre Hilfe anzunehmen. Viktor Tschernow, damals in Reval,versuchte die Matrosen zugunsten seiner Partei und deren Forderun-gen zu beeinflußen, aber das Provisorische Revolutionäre Komitee gabihm keine Ermutigung. Tschernow schickte die folgende drahtlose Bot-schaft1 nach Kronstadt:

    Der Vorsitzende der konstituierenden Versammlung, Viktor Tscher-now, schickt seine brüderlichen Grüße an die heroischen Genossen Ma-trosen, Soldaten der Roten Armee und Arbeiter, die zum drittenMal seit1905 das Joch der Tyrannei abschütteln. Er bietet an, mit Mannschaft zuhelfen und Kronstadt durch die russischen Kooperativgesellschaften imAusland zu verproviantieren. Teilt mit, was und wieviel gebraucht wird.Bin bereit, selbst zu kommen und meine Energie und Autorität in den

    1 Veröffentlicht in Revolutsionnaja Rossija (sozial-revolutionäre Zeitschrift), Nr.8. Mai 1921.Vgl. auch die Moskauer Izvestia (kommunistisch), Nr. 154, 13. Juli l922

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  • Dienst der Volksrevolution zu stellen. Ich habe Vertrauen in den Endsiegder Arbeitermassen. … Heil der ersten, die das Banner der Volksbefrei-ung erheben! Nieder mit dem Despotismus auf der linken und auf derrechten Seite!

    Gleichzeitig schickte die Sozial-Revolutionäre Partei folgende Bot-schaft nach Kronstadt:

    Die Sozialrevolutionäre Delegation im Ausland … im jetzigenAugenblick, wo der Becher des Volkszorns überfließt, bietetan, mit all ihren Mitteln zu helfen im Kampf für Freiheit undVolksregierung. Teilt mit, welcher Art Hilfe gewünscht wird.Es lebe die Volksrevolution! Es leben die freien Sowjets unddie Konstituierende Versammlung!

    Das Kronstädter Revolutionäre Komitee lehnte die Angebote derSozial-Revolutionäre ab. Es schickte Viktor Tschernowdie folgendeAnt-wort:

    Das Provisorische Revolutionäre Komitee von Kron-stadt drückt all unseren Brüdern im Auslande seine tiefeDankbarkeit für ihre Sympathie aus. Das Provisorische Re-volutionäre Komitee ist dankbar für das Angebot des Ge-nossen Tschernow, aber es hält sich für jetzt zurück, dasheißt bis die weitere Entwicklung sich klarer abzeichnet.Einstweilen wird alles in Erwägung gezogen werden.

    Petritschenko, Vorsitzender des Provisorischen Revolutionären Ko-mitees.

    Moskau aber setzte seine Entstellungskampagne fort. Am 3. Märzschickte die bolschewistische Radiostation folgende Botschaft an dieWelt (von der einzelne Teile nicht entziffert werden können, wegen Ein-mischung einer andern Station):… Daß die bewaffnete Erhebung des früheren Generals Koslowsky von

    den Ententespionen organisiert wurde, wie viele ähnliche frühere Kom-

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    Versuche dazu machen. Sich hinter den Arbeitern und Matro-sen verbergend, werfen sie Schlagwörter aus von der Konsti-tuierenden Versammlung, von Handelsfreiheit und ähnlichenForderungen.

    Wir Anarchisten haben längst die Lüge dieser Schlagwörterenthüllt, und wir erklären vor der ganzen Welt, daß wir mitden Waffen gegen jeden gegenrevolutionären Versuch kämp-fen werden, zusammenwirkend mit allen Freunden der Sozia-len Revolution und Hand in Hand mit den Bolschewiken.

    Was den Konflikt zwischen der Sowjetregierung und den Ar-beitern und Matrosen betrifft, sind wir der Ansicht, daß ernicht durch Waffengewalt, sondern durch einen kamerad-schaftlichen, brüderlichen revolutionären Vergleich beigelegtwerden muß. Wenn die Sowjetregierung zum Blutvergießenschreitet, wird dies - in der gegebenen Situation - die Arbeiternicht einschüchtern oder beruhigen. Im Gegenteil wird es nurzur Verschärfung der Lage dienen und die Hand der Ententeund der inneren Gegenrevolution stärken.

    Was noch wichtiger ist, der Gebrauch von Gewalt durch dieArbeiter- und Bauernregierung gegen Arbeiter und Matrosenwird eine reaktionäre Wirkung auf die internationale revo-lutionäre Bewegung ausüben und wird überall der SozialenRevolution unberechenbaren Schaden zufügen.

    Genossen Bolschewiken, überlegt wohl, bevor es zu spät ist!Spielt nicht mit dem Feuer: ihr seid im Begriff, einen sehr erns-ten und entscheidenden Schritt zu tun.

    Wir unterbreiten euch hiermit den folgenden Vorschlag: EineKommission möge gewählt werden, die aus fünf Personen be-steht, darunter zwei Anarchisten. Diese Kommission soll nachKronstadt gehen, um den Streit auf friedlichem Wege beizu-legen. In der gegebenen Lage ist dies die radikalste Methode.Sie wird von internationaler revolutionärer Bedeutung sein.

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  • Trotzki, Vorsitzender des Revolutionären Militärsowjets derRepublik. Kamenew, Oberster Kommandant.

    Die Lage sah unheilvoll aus. Große militärische Kräfte strömten be-ständig nach Petrograd und in dessen Umgebung. Trotzkis Ultimatumwar von einem prikas gefolgt, der die historische Drohung enthielt: „Ichwerde euch wie Fasanen niederschießen.“ Eine damals in Petrograd be-findliche Gruppe Anarchisten machte einen letzten Versuch, die Bol-schewiken zu veranlassen, ihre Entscheidung, Kronstadt anzugreifen,nochmals zu erwägen. Sie fühlten, es sei ihre Pflicht gegen die Revoluti-on, eine Anstrengung zu machen, selbst wenn sie aussichtslos war, dasbevorstehende Massaker der revolutionären Blüte Rußlands, der Matro-sen und Arbeiter von Kronstadt, zu verhindern. Am 5. März schicktensie einen Protest an das Verteidigungskomitee, die friedlichen Absich-ten und gerechten Forderungen von Kronstadt hervorhebend, die Kom-munisten an die heroische revolutionäre Geschichte der Matrosen erin-nernd, und eine Methode zur Beilegung des Streits auf eine Genossenund Revolutionären angemessene Weise zum Vorschlag bringend. Die-ses Dokument lautet:

    An den Petrograder Sowjet für Arbeit und Verteidigung. Vor-sitzender Zinowjew.

    Jetzt zu schweigen ist unmöglich, sogar verbrecherisch. Diejüngsten Ereignisse zwingen uns Anarchisten zu reden undunsere Haltung in der gegenwärtigen Lage zu erklären.

    Der Geist der Gärung und Unzufriedenheit, der unter den Ar-beitern und Matrosen zutage tritt, ist das Resultat von Ursa-chen, die unsere ernste Aufmerksamkeit erfordern. Kälte undHunger erzeugten Mißvergnügen, und das Fehlen jeder Ge-legenheit zur Diskussion und Kritik zwingt die Arbeiter undMatrosen, ihre Beschwerden im Freien zu erörtern.

    Weißgardistische Banden wünschen diese Unzufriedenheitfür ihre eigenen Klasseninteressen auszubeuten und mögen

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    plotte, geht aus der französischen Bourgeoiszeitung Matin augenschein-lich hervor, der zwei Wochen vor Koslowskys Rebellion das folgende Te-legramm aus Helsingfors veröffentlichte: „Infolge der kürzlich erfolgtenKronstädter Erhebung trafen die bolschewistischenMilitärbehörden Schrit-te, Kronstadt zu isolieren und die Krönstädter Matrosen und Soldaten zuverhindern, Petrograd zu betreten.“ … Es ist klar, daß die Kronstädter Erhe-bung in Paris gemacht und vom französischen Geheimdienst organisiertwurde … Die Sozial-Revolutionäre, die auch von Paris beherrscht und ge-leitet werden, bereiteten Rebellionen gegen die Sowjetregierung vor, undkaum waren ihre Vorbereitungen gemacht, so erschien der wirkliche Herr,der zaristische General.

    Den Charakter der zahlreichen anderen von Moskau ausgeschicktenBenachrichtigungen kann man nach dem folgenden Radio beurteilen:

    Petrograd ist ruhig und ordentlich und selbst die paarFabriken, in denen Anklagen gegen die Sowjetregierungvor kurzem Ausdruck fanden, sehen jetzt ein, daß dies dasWerk von Provokateuren ist. Sie verstehen, wohin sie vonden Agenten der Entente und der Gegenrevolution geführtwerden.… Gerade jetzt, wo in Amerika ein neues republikanischesRegime die Regierung übernimmt und Neigung zeigt, mitSowjetrußland geschäftliche Beziehungen aufzunehmen,hat die Verbreitung erlogener Gerüchte und die Organisa-tion von Unruhen in Kronstadt den einzigen Zweck, denneuen amerikanischen Präsidenten zu beeinflussen und sei-ne Politik Rußland gegenüber zu ändern. Zur gleichen Zeithält die Londoner Konferenz ihre Sitzungen ab und die Ver-breitung solcher Gerüchte kann auch die türkische Dele-gation beeinflussen und den Forderungen der Entente ge-fügiger machen. Die Rebellion der Mannschaft des Petro-pawlowsk bildet ohne Zweifel einen Teil einer großen Ver-schwörung, in Sowjetrußland Unruhen anzustiften und un-sere internationale Position zu schädigen … Dieser Plan

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  • wird innerhalb Rußlands von einem zaristischen Generalund früheren Offizieren durchgeführt und deren Tätigkeitwird von den Menschewiki und den Sozial-Revolutionärenunterstützt.

    Das Petrograder Verteidigungskomitee, geleitet von Zinowjew, sei-nem Vorsitzenden, übernahm die volle Herrschaft über Stadt und Pro-vinz Petrograd. Der ganze Norddistrikt wurde unter Kriegsrecht gestelltund alle Versammlungen verboten. Zum Schutz der Regierungsinstitu-tionen wurden außerordentliche Vorkehrungen getroffen und Maschi-nengewehre wurden im Astoria aufgestellt, dem von Zinowjew undanderen hohen bolschewistischen Beamten bewohnten Hotel. Prokla-mationen auf den Anschlagtafeln in den Straßen befahlen die sofortigeRückkehr aller Streikenden in die Fabriken, verboten Arbeitseinstellun-gen und warnten das Volk gegen Straßenansammlungen. „In solchenFällen“, hieß es in dem Befehl, „werden die Soldaten Waffengewalt an-wenden. Im Fall von Widerstand, Erschießung an Ort und Stelle.“

    Das Verteidigungskomitee übernahm die systematische „Reinigungder Stadt“. Zahlreiche der Sympathie mit Kronstadt verdächtige Arbei-ter, Soldaten und Matrosen wurden verhaftet. Alle Petersburger Matro-sen und mehrere Regimenter der Armee, die als „politisch unzuverläs-sig“ angesehen wurden, wurden an entfernte Orte geschickt, währenddie in Petersburg lebenden Familien von Kronstädter Matrosen als Gei-seln eingesperrt wurden. Das Verteidigungskomitee teilte sein Vorge-hen Kronstadt mit durch eine über der Stadt am 4. März von einem Ae-roplan ausgestreute Proklamation, welche erklärte: „Das Verteidigungs-komitee erklärt, daß die Verhafteten als Geiseln gehalten werden fürden Kommissär der Ostseeflotte, N. N. Kusmin, den Vorsitzenden desKronstädter Sowjet, T. Wassiljew und andere Kommunisten. Wenn un-sere festgehaltenen Genossen den geringsten Schaden leiden, werden-die Geiseln dies mit ihrem Leben bezahlen.“

    „Wirwollen kein Blutvergießen. Kein einziger Kommunist wurde vonuns erschossen“, war die Antwort Kronstadts.

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    angenommen unter stürmischem Protest mehrerer Delegierter von Pe-trograder Fabriken und der Wortführer der Matrosen. Die Resolutionerklärte Kronstadt einer gegenrevolutionären Erhebung gegen die So-wjetmacht schuldig und verlangte seine sofortige Ergebung.

    Das war eine Kriegserklärung. Selbst viele Kommunisten weigertensich zu glauben, daß die Resolution zur Ausführung gelangen werde:es würde eine gräßliche Sache sein, mit Waffengewalt den „Stolz undRuhm der Russischen Revolution“ anzugreifen, wie Trotzki die Kron-städterMatrosen getauft hatte. Im Freundeskreis drohten viele nüchterndenkende Kommunisten aus der Partei auszutreten, wenn eine solcheBluttat verübt werden würde.

    Eswar erwartet worden, daß Trotzki zumPetro-Sowjet sprechenwür-de, und sein Nichterscheinen wurde von einigen als Anzeichen ausge-legt, daß der Ernst der Lage übertrieben würde. Aber er kam im Laufeder Nacht in Petrograd an und erließ am nächstenMorgen, 5. März, seinUltimatum an Kronstadt:

    Die Arbeiter- und Bauernregierung hat verfügt, daß Kron-stadt und die Rebellenschiffe sich sofort der Autorität derSowjetrepublik unterwerfen müssen. Ich befehle daher allen,welche ihre Hand gegen das Sozialistische Vaterland erhobenhaben, sofort ihre Waffen niederzulegen. Die Halsstarrigensind zu entwaffnen und den Sowjetbehörden zu übergeben.Die verhafteten Kormmissäre und anderen Regierungsvertre-ter sind sofort freizulassen. Nur diejenigen, welche sich ohneBedingung ergeben, können auf die Gnade der Sowjetrepublikrechnen.

    Ich erlasse gleichzeitig Befehle, die Bezwingung der Meute-rei und die Überwältigung der Meuterer durch Waffengewaltvorzubereiten. Die Verantwortlichkeit für den Schaden, dendie friedliche Bevölkerung erleiden mag, wird ganz auf dieHäupter der gegenrevolutionären Meuterer fallen.

    Diese Warnung ist endgültig.

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  • in der Hauptstadt den „außerordentlichen Belagerungszustand“ erklärt.Versammlungen und Ansammlungen auf der Straße waren nicht er-laubt. Die Petrograder Arbeiter wußten wenig von dem, was in Kron-stadt vorging, da die einzigen zugänglichen Informationsquellen diekommunistische Presse und häufige Bulletins waren, in denen es hieß,„der zaristische General Koslowsky organisiere eine gegenrevolutionä-re Erhebung in Kronstadt“. Das Volk sah gespannt der angekündigtenSitzung des Petrograder Sowjet entgegen, welcher in der KronstädterAngelegenheit aktiv vorgehen sollte.

    Der Petro-Sowjet trat am 4. März zusammen; der Zutritt erfolgtedurch Karten, die in der Regel nur Kommunisten sich beschaffen konn-ten. Der Verfasser, damals auf freundlichem Fuß mit den Bolschewikenund besonders mit Zinowjew, war anwesend. Als Vorsitzender des Pe-trograder Sowjets eröffnete Zinowjew die Sitzung und setzte in einerlangen Rede die Kronstädter Situation auseinander. Ich gestehe, daßich eher zugunsten von Zinowjews Gesichtspunkt gestimmt zu dieserSitzung kam: ich war auf meiner Hut vor der leisesten Möglichkeit ge-genrevolutionären Einflusses in Kronstadt. Aber Zinowjews Rede selbstüberzeugte mich, daß die kommunistischen Anklagen gegen die Matro-sen reine Mache waren ohne einen Funken von Wahrheit. Ich hatte Zi-nowjew bei verschiedenen früheren Gelegenheiten gehört. Ich hatte inihm einen Redner gefunden, der zu überzeugen wußte, sobald seine Vor-aussetzungen zugegeben waren. Aber diesmal strafte seine ganze Hal-tung, seine Argumentation, sein Ton und seine Art und Weise, - all dasstrafte seine Worte Lügen. Ich konnte fühlen, wie sein eigenes Gewis-sen protestierte. Das einzige gegen Kronstadt vorgebrachte „Beweisma-terial“ war die berühmte Resolution vom 1. März, deren Forderungengerecht und sogar mäßig waren. Und doch wurde einzig auf der Grund-lage dieses Dokuments, unterstützt von der heftigen, beinahe hysteri-schen Anklage der Matrosen durch Kalinin, der verhängnisvolle Schrittunternommen. Im vornherein vorbereitet und vorgelegt durch Jewdo-kimow mit der Stentorstimme, die rechte Hand Zinowjews, wurde dieResolution gegen Kronstadt von den auf einen Gipfelpunkt von Into-leranz und Blutdurst emporgeschraubten Delegierten angenommen, -

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    IV. Die Ziele von Kronstadt

    Kronstadt fühlte sich neu belebt. Die revolutionäre Begeisterung er-reichte die Höhe der Oktobertage, in denen der Heroismus und die Hin-gebung der Matrosen eine so entscheidende Rolle spielten. Zum erstenMale seit der Übernahme der ausschließlichen Beherrschung der Revo-lution und des Schicksals Rußlands durch die Kommunistische Partei,empfand Kronstadt sich nun frei. Ein neuer Geist der Solidarität undBrüderlichkeit brachte die Matrosen, die Soldaten der Garnison, die Fa-brikarbeiter und die parteilosen Elemente zusammen zu vereinter Be-mühung für ihre gemeinsame Sache. Selbst Kommunisten wurden vonder Verbrüderung der ganzen Stadt angesteckt und nahmen an der Ar-beit der Vorbereitung der kommenden Kronstädter Sowjetwahlen teil.

    Zu den ersten Schritten des Provisorischen Revolutionären Komiteesgehörte die Aufrechterhaltung revolutionärer Ordnung in Kronstadtund die Herausgabe des offiziellen Organs des Komitees, der täglichenIzvestia. Der erste Appell des Komitees an das Volk von Kronstadt (inder ersten Nummer, 3. März 1921) war durchaus charakteristisch fürdie Haltung und Stimmung der Matrosen. „Das Revolutionäre Komitee“,heißt es da, „ist sehr darum bekümmert, daß kein Blut vergossen wird.Es bemühte sich aufs äußerste, revolutionäre Ordnung in der Stadt, derFestung und den Forts zu organisieren. Genossen und Bürger, stellt dieArbeit nicht ein! Arbeiter, bleibt bei euren Maschinen, Matrosen undSoldaten, seid auf euren Posten. Alle Sowjetangestellten und Einrich-tungen sollten ihre Arbeit fortsetzen. Das Provisorische RevolutionäreKomitee appelliert an euch alle, Genossen und Bürger, eure Unterstüt-zung und Hilfe zu geben. Seine Mission ist die, in brüderlicher Zusam-menarbeit mit euch die nötigen Bedingungen für ehrliche und gerechteWahlen in den neuen Sowjets zu organisieren.“

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  • Die Seiten der Izvestia legen reichlich Zeugnis ab von dem tiefenGlauben des Revolutionären Komitees an das Volk von Kronstadt undseinem Streben nach freien Sowjets als den richtigen Weg zur Befrei-ung von der Unterdrückung durch die kommunistische Bürokratie. Inseinem täglichen Organ und seinen Radiobotschaften wies das Revolu-tionäre Komitee empört die Verleumdungskampagne der Bolschewikenzurück und appellierte wiederholt an das Proletariat Rußlands und derWelt um Verständnis, Teilnahme und Hilfe. Die Radiobotschaft vom 6.März enthält das Leitmotiv der Rufe von Kronstadt:

    Unsere Sache ist eine gerechte: wir treten ein für die Macht derSowjets, nicht die der Parteien. Wir treten ein für freigewählteVertreter der arbeitenden Massen. Die Ersatzsowjets, die vonder Kommunistischen Partei betrieben werden, blieben immerunseren Bedürfnissen und Forderungen gegenüber taub; dieeinzige Antwort, die wir je erhielten, war schießen … Genos-sen! Man täuscht euch nicht nur, man verdreht mit voller Ab-sicht dieWahrheit und bedient sich der verächtlichsten Ehrab-schneidung. … In Kronstadt ist die ganze Gewalt ausschließ-lich in den Händen der revolutionären Matrosen, Soldatenund Arbeiter, - nicht in denen der von irgendeinem Koslowskygeführten Gegenrevolutionäre, wie das lügnerische MoskauerRadio euch glauben machen will … Zögert nicht, Genossen!Schließt euch an uns an, tretet in Berührung mit uns. Ver-langt Zulassung nach Kronstadt für eure Delegierten. Diesenur werden euch die ganze Wahrheit sagen und die teuflischeVerleumdung über Brot von Finnland und Ententeangebotebloßstellen.

    Es lebe das revolutionäre Proletariat und Bauerntum!

    Es lebe die Macht freigewählter Sowjets!

    Das Provisorische Revolutionäre Komitee hatte zuerst sein Haupt-quartier auf dem Flaggschiff Petropawlowsk, verlegte es aber nach we-nigen Tagen in das „Volksheim“ im Zentrum von Kronstadt, um, wie die

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    Wut hervorgerufen werden. Die Geschichte kennt keine solcheInfamie.

    Matrose Petritschenko, Vorsitzender des Provisorischen Revo-lutionären Komitees. Kilgast, Sekretär.

    In dem Manifest an das Volk von Kronstadt heißt es:

    Die lange fortgesetzte Unterdrückung der arbeitenden Mas-sen durch die kommunistische Diktatur rief sehr natürlicheEntrüstung und Erbitterung auf Seiten des Volkes hervor. Alseine Folge davon wurden in manchen Fällen Verwandte vonKommunisten aus ihren Stellungen entlassen und boykottiert.Dies darf nicht sein. Wir suchen nicht Rache - wir verteidigenunsere Arbeitsinteressen.

    Kronstadt lebte im Geist seines heiligen Kreuzzugs. Es hatte anhalten-den Glauben an die Gerechtigkeit seiner Sache und fühlte sich als derwahre Verteidiger der Revolution. In dieser Geistesverfassung glaubtendie Matrosen nicht, daß die Regierung sie mit Waffengewalt angreifenwerde. Im Unterbewußtsein dieser einfachen Kinder der Erde und derSee keimte da vielleicht das Gefühl auf, daß nicht nur durch Gewalt derSieg errungen werden kann. Die slavische Psychologie schien zu glau-ben, daß die Gerechtigkeit der Sache und die Stärke des revolutionärenGeistes siegen müßten. Auf jeden Fall lehnte es Kronstadt ab, die Offen-sive zu ergreifen. Das Revolutionäre Komitee wollte den eindringlichenRat der militärischen Sachverständigen, sofort in Oranienbaum, einemFort von großem strategischen Wert, zu landen, nicht annehmen. DieKronstädter Matrosen und Soldaten strebten die Errichtung freier So-wjets an und waren gewillt, ihre Rechte gegen Angriffe zu verteidigen,aber sie wollten nicht die Angreifer sein.

    In Petrograd gingen jetzt andauernd Gerüchte herum, daß die Re-gierung militärische Operationen gegen Kronstadt vorbereite; aber dasVolk glaubte solchen Erzählungen nicht; die Sache schien zu empörend,um nicht absurd zu sein. Wie bereits erwähnt, hatte das Verteidigungs-komitee (offiziell bekannt als der Sowjet für Arbeit und Verteidigung)

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  • V. Ultimatum der Bolschewiken anKronstadt

    Kronstadt war edelmütig. Es vergoß keinen Tropfen kommunisti-schen Blutes trotz aller Provokation, der Blockade der Stadt und derRepressivmaßregeln der Bolschewikenregierung. Es verschmähte daskommunistische Rachevorbild nachzumachen und ging sogar so weit,die Kronstädter Bevölkerung zu warnen, sich keiner Ausschreitungengegen Mitglieder der kommunistischen Partei schuldig zu machen. DasProvisorische Revolutionäre Komitee erließ einen Aufruf an das Volkvon Kronstadt in diesem Sinn, sogar nachdem die Bolschewikenregie-rung die Forderung der Matrosen nach Freilassung der in Petrogradfestgenommenen Geiseln ignoriert hatte. Die durch Radio an den Pe-trograder Sowjet geschickte Forderung und das Manifest des Revolutio-nären Komitees wurden am gleichen Tage, 7. März, veröffentlicht undsind hier angeführt:

    Im Namen der Kronstädter Garnison verlangt das Provisori-sche Revolutionäre Komitee von Kronstadt, daß die Familiender Matrosen, Arbeiter und Mannschaften der Roten Armee,die vom Petro-Sowjet als Geiseln festgehalten werden, inner-halb 24 Stunden freigelassen werden.

    Die Kronstädter Garnison erklärt, daß die Kommunisten inKronstadt volle Freiheit genießen und daß ihre Familiensich in absoluter Sicherheit befinden. Das Beispiel des Petro-Sowjets wird hier nicht nachgeahmt werden, weil wir solcheMethoden (die Aushebung von Geiseln) als äußerst schand-bar und verderbt ansehen, selbst wenn sie durch verzweifelte

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    Izvestia sagen, „in engerer Berührung mit dem Volk zu sein und den Zu-tritt zu demKomitee leichter zumachen als auf dem Schiff“. Obgleich diekommunistische Presse in ihrer giftigenDenunziation vonKronstadt als„der gegenrevolutionären Rebellion des General Koslowsky“ fortfuhr, istdieWahrheit die, daß das Revolutionäre Komitee ausschließlich proleta-risch war und größtenteils aus Arbeitern bestand, deren revolutionäreLeistungen bekannt waren. Es bestand aus den folgenden 15 Mitglie-dern:

    1.Pefritschenko, Oberbeamter, Flaggschiff Petropawlowsk.2.Jakowenko, Telephonist, Distrikt Kronstadt.3.Ossossow, Maschinist, Sewastopol.4.Archipow, Ingenieur.5.Perepelkin, Mechaniker, Sewastopol.6.Patruschew, Chefmechaniker, Petropawlowsk.7.Kupolow, ärztlicher Oberassistent.8.Werschinin, Matrose, Sewastopol.9.Tukin, Elektromechaniker.10.Romanenko, Aufseher im Dock für Awiatik.11.Oreschin, Vorsteher der Dritten Industrieschule.12.Walk, Holzfabrikarbeiter.13.Pawlow, Seeminenarbeiter.14.Baikow, Fuhrmann.15.Kilgast, Hochseematrose.Nicht ohne humoristischen Beigeschmack bemerkten die Izvestia

    von Kronstadt in diesem Zusammenhang: „Dies sind unsere Genera-le, meine Herren Trotzki und Zinowjew, während die Brussilows, dieKamenews, die Tuchatschewskis und die anderen Berühmtheiten deszarischen Regimes auf Ihrer Seite sind.“

    Das Provisorische Revolutionäre Komitee genoß das Vertrauen derganzen Kronstädter Bevölkerung. Es gewann allgemeine Achtungdurch Einführung und ausdauerndes Festhalten an demGrundsatz „glei-che Rechte für alle und eines Vorrechts für niemand“. Der pajok (dieLebensmittelration) wurde gleichgemacht. Die Matrosen, die unter derBolschewikenherrschaft immer weit größere Rationen als die Arbei-

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  • ter bekamen, stimmten selbst dafür, nicht mehr zu nehmen als derDurchschnittsbürger und -arbeiter. Besondere Rationen und Leckerbis-sen wurden nur Spitälern und Kinderheimen gegeben.

    Die gerechte und edelmütige Haltung des Revolutionären Komiteesden Kronstädter Mitgliedern der kommunistischen Partei gegenüber -von denen nur wenige verhaftet worden waren, trotz der bolschewisti-schen Unterdrückungen und der Zurückhaltung der Matrosenfamilienals Geiseln - gewann selbst die Achtung der Kommunisten. Die Seitender Izvestia enthalten zahlreiche Mitteilungen von Kronstädter kommu-nistischen Gruppen und Organisationen, welche die Haltung der Zen-tralregierung verurteilen und den Standpunkt und die Maßregeln desProvisorischen Revolutionären Komitees anerkennen. Viele Kronstäd-ter Kommunisten zeigten öffentlich ihren Austritt aus der Partei an alsProtest gegen deren Despotismus und bürokratische Korruption. In ver-schiedenen Nummern der Izvestia findet man Hunderte Namen vonKommunisten, deren Gewissen ihnen unmöglich machte „in der Parteides Henkers Trotzki zu bleiben“, wie einige von ihnen dies ausdrück-ten. Die Austrittserklärungen aus der Kommunistischen Partei wurdenbald so zahlreich, daß sie einem allgemeinen Ausmarsch aus der Par-tei glichen.1 Folgende Briefe, aufs Geradewohl einem großen Bündelentnommen, charakterisieren hinlänglich die Gefühle der KronstädterKommunisten:

    Ich bin zur Einsicht gekommen, daß die Politik der kommu-nistischen Partei das Land in eine hoffnungslose Sackgassegeführt hat, aus der es keinen Ausweg gibt. Die Partei ist bü-rokratisch geworden, sie hat nichts gelernt und will nichts ler-nen. Sie weigert sich, auf die Stimme von 115 Millionen Bau-ern zu hören; sie will nicht bedenken, daß nur Redefreiheitund Gelegenheit, amWiederaufbau des Landes teilzunehmen,

    1 Das Exekutivkomitee der Russischen Kommunistischen Partei hielt seine Sek-tion Kronstadt für so „demoralisiert“, daß es nach der Niederlage von Kronstadt einevollständige Neueinschreibung aller Kronstadter Kommunisten anordnete. A. B.

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    ist der Polizeiknüppel der kommunistischen Autokratie zer-brochen.

    Dies waren das Programm und die unmittelbaren Forderun-gen, wegen welcher die Bolschewistenregierung am 7. März1921 um 6 3/4 Uhr abends den Angriff gegen Kronstadt be-gann.

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  • Es gibt keinen Mittelweg. Siegen oder sterben! Das Beispiel istvon Kronstadt gegeben, das der Schrecken der Gegenrevoluti-on von rechts und von links ist. Hier hat die große revolutionä-re Tat stattgefunden. Hier ist das Banner der Rebellion gegendie dreijährige Tyrannei und Unterdrückung der kommunis-tischen Autokratie erhoben, welche den dreihundertjährigenDespotismus des Monarchismus in den Schatten gestellt hat.Hier in Kronstadt wurde der Eckstein der Dritten Revolutiongelegt, welche die letzten Ketten des Arbeiters brechen undden neuen, breiten Weg zu sozialistischer schöpferischer Tä-tigkeit eröffnen soll.

    Diese neue Revolution wird die Massen im Osten und Westenerwecken und als Beispiel neuer sozialistischer Aufbautätig-keit dienen, als Gegenstück zum regierungsmäßigen, fix undfertigen, kommunistischen „Aufbau“. Die arbeitendenMassenwerden lernen, daß das bisher im Namen der Arbeiter undBauern Geschehene nicht Sozialismus war.

    Ohne einen einzigen Schuß abzufeuern, ohne einen TropfenBlut zu vergießen, ist der erste Schritt geschehen. Die arbeiten,brauchen kein Blut, sie werden es nur zur Selbstverteidigungvergießen….. Die Arbeiter und Bauern marschieren vorwärts:sie lassen hinter sich die utschredilka (Konstituierende Ver-sammlung) mit ihrem Bourgeoisregime und die Diktatur derKommunistischen Partei mit ihrer Tscheka und ihrem Staats-kapitalismus, die um den Hals der Arbeiter die Schlinge gelegthaben und sie zu Tode zu würgen drohen.

    Der gegenwärtige Wechsel gibt den arbeitenden Massen Ge-legenheit, sich endlich freigewählte Sowjets zu sichern, dieohne Furcht vor der Parteipeitsche funktionieren werden; siekönnen jetzt die von der Regierung beherrschten Arbeiterge-sellschaften zu freiwilligen Assoziationen von Arbeitern, Bau-ern und arbeitenden Intelligenzleuten umgestalten. Endlich

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    nach Abänderung der Wahlmethoden unser Land seiner Le-thargie entreißen kann.

    Ich weigere mich fernerhin, mich als Mitglied der RussischenKommunistischen Partei zu betrachten. Ich billige vollständigdie von der Versammlung der ganzen Stadt am 1. März ange-nommene Resolution und stelle hierdurch meine Kraft undFähigkeiten dem Provisorischen Revolutionären Komitee zurVerfügung.

    Hermann Kanew, Krasniy Komandir (Offizier in der RotenArmee), Sohn des politisch Verbannten im Prozeß der 193.2

    (Izvestia, Nr. 3., 5. März 1921.)

    Genossen, meine Schüler der industriellen, Roten Armee undSeefahrt & Schulen!

    Beinahe dreißig Jahre lebte ich in tiefer Liebe für das Volkund brachte, soweit es in meinen Kräften lag, bis zur jetzigenStunde Licht und Kenntnisse allen, die danach dürsteten. DieRevolution von 1917 gab meiner Arbeit größeren Spielraum,vermehrte meine Tätigkeit, und ich widmete michmit größterEnergie dem Dienste meines Ideals.

    Das kommunistische Schlagwort „Alles für das Volk“ begeis-terte mich mit seiner Würde und Schönheit, und im Februar1920 trat ich in die Russische Kommunistische Partei als Kan-didatin ein. Aber der „erste Schuß“, abgefeuert gegen die fried-liche Bevölkerung, gegen meine innigstgeliebten Kinder, vondenen sich etwa siebentausend in Kronstadt befinden, erfülltmich mit dem Schrecken, man möchte mich als Teilhaberinan der Verantwortlichkeit für das so vergossene Blut der Un-schuldigen betrachten. Ich fühle, daß ich nicht länger an das,

    2 Der berühmte Prozeß der 193 in der Frühzeit der russischen revolutionären Be-wegung. Er begann in der zweiten Hälfte 1877 und ging in den ersten Monaten von

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  • das sich selbst durch eine teuflische Tat geschändet hat, glau-ben und es propagieren kann. Daher habe ich mit dem ers-ten Schuß aufgehört, mich als Mitglied der KommunistischenPartei zu betrachten.

    Maria Nikolajewna Schatel (Lehrerin).

    (Izvestia, Nr. 6, 8. März 1921.)

    Solche Mitteilungen erschienen in fast jeder Nummer der Izvestia.Äußerst bezeichnend war die Erklärung des Provisorischen Büros derKronstädter Sektion der kommunistischen Partei, dessen Manifest anihre Mitglieder in Nr. 2 der Izvestia, 4. März, erschien:

    … Möge jeder Genosse unserer Partei die Wichtigkeit des ge-genwärtigen Augenblicks erkennen.

    Schenkt den falschen Gerüchten keinen Glauben, daß Kom-munisten erschossen werden und daß die Kronstädter Kom-munisten im Begriff sind, eine bewaffnete Erhebung zu begin-nen. Solche Gerüchte werden verbreitet, um Blutvergießen zuverursachen.

    Wir erklären, daß unsere Partei stets die Eroberungen der Ar-beiterklasse gegen alle bekannten und geheimen Feinde derMacht der Arbeiter- und Bauernsowjets verteidigt hat unddies weiter tun wird.

    Das Provisorische Büro der Kronstädter KommunistischenPartei erkennt die Notwendigkeit neuer Sowjetwahlen an undruft die Mitglieder der Kommunistischen Partei zur Teilnah-me an den Wahlen auf.

    Das Provisorische Büro der Kommunistischen Partei gibt allenParteimitgliedern die Weisung, auf ihren Posten zu bleibenund auf keine Weise den Maßregeln des Provisorischen Re-

    1878 zu Ende. A. B.

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    arbeitenden Massen und zwangen jeden, nach der kommunis-tischen Vorschrift zu denken.

    … Das Rußland der mühselig Arbeitenden, das zuerst das roteBanner der Befreiung der Arbeit erhob, ist durchtränkt vomBlut der für den größeren Ruhm der kommunistischen Herr-schaft gefallenen Märtyrer. In diesem Meer von Blut erträn-ken die Kommunisten alle glänzenden Versprechungen undMöglichkeiten der Arbeiterrevolution. Es ist jetzt klar gewor-den, daß die Russische Kommunistische Partei nicht der Ver-teidiger der Arbeitermassen ist, der sie zu sein sich ausgibt.Die Interessen des arbeitenden Volkes sind ihr fremd. Sie hatdie Macht gewonnen und fürchtet jetzt nur, sie zu verlierenund hält daher alle Mittel für erlaubt: Ehrabschneidung, Täu-schung, Gewalttätigkeit, Mord und Rache an den Familien derRebellen.

    Die lange leidende Geduld ist zu Ende. Da und dort wird dasLand erleuchtet vom Feuer der Rebellion im Kampf gegen Un-terdrückung und Gewalt. Die Streiks von Arbeitern haben sichvervielfältigt, aber das bolschewistische Polizeiregime hat alleVorkehrungen gegen den Ausbruch der unvermeidlichen drit-ten Revolution getroffen.

    Trotz alledem aber ist sie gekommen und wird von den Hän-den der arbeitenden Massen gemacht. Die Generale des Kom-munismus sehen klar, daß es das Volk ist, das sich erhobenhat, das Volk, das zur Überzeugung gelangt ist, daß die Kom-munisten die Ideen des Sozialismus verraten haben. Für ih-re Sicherheit fürchtend und wohl wissend, daß nirgends einPlatz ist, wo sie sich vor dem Zorn der Arbeiter verbergenkönnen, versuchen die Kommunisten noch immer die Rebellendurch Gefängnis, Erschießen und andere Barbareien zu terro-risieren. Aber unter der kommunistischen Diktatur zu lebenist schrecklicher als der Tod ….

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  • gen die Weißgardisten, die Grundbesitzer und die Bourgeoisiegestorben sind!

    In einfacher und offener Sprache suchte Kronstadt den Willen desVolkes auszudrücken, das nach Freiheit ächzte und nach der Möglich-keit, sein eigenes Schicksal zu bestimmen. Es fühlte sich sozusagen alsAvantgarde des russischen Proletariats bei seiner bevorstehenden Erhe-bung zur Verteidigung der großen Aspirationen, für welche das Volk inder Oktoberrevolution gekämpft und gelitten hatte. Der Glaube Kron-stadts an das Sowjetsystem war tief und fest; sein alles umfassendesSchlagwort war: Alle Macht den Sowjets, nicht den Parteien! Dies wardas Programm; es blieb keine Zeit übrig, es zu entwickeln oder zu theo-retisieren. Der Kampf ging um die Befreiung des Volkes vom kommunis-tischen Joch. Dieses nicht länger zu ertragende Joch machte eine neueRevolution, die Dritte Revolution notwendig. Der Weg zur Freiheit undzum Frieden lag in freigewählten Sowjets, „dem Eckstein der neuen Re-volution“. Die Seiten der Izvestia enthalten reichliche Zeugnisse der un-verfälschten Geradheit und des zielbewußten Sinns der Matrosen undArbeiter von Kronstadt und ihres rührenden Glaubens an ihre Missi-on als Einleiter der Dritten Revolution. Diese Bestrebungen und Hoff-nungen sind klar auseinandergesetzt in Nr. 6 der Izvestia, 8. März, imLeitartikel: „Für was wir kämpfen“:

    Die Arbeiterklasse hatte gehofft, durch die Oktoberrevoluti-on ihre Befreiung zu erreichen. Aber es folgte eine nur nochgrößere Versklavung der menschlichen Persönlichkeit.

    Die Macht der Polizei- und Gendarmeriemonarchie fiel in dieHände von Usurpatoren - den Kommunisten - die, statt demVolk Freiheit zu geben, ihm nur die beständige Furcht derTscheka einflößten, die durch ihre Greuel Selbst das Gendar-menregime des Zarismus übertrifft. … Am schlechtesten undverbrecherischsten von allem ist die geistige Kabale der Kom-munisten: sie legten ihre Hand auch auf die innere Welt der

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    volutionären Komitees Hindernisse oder Einmischung in denWeg zu legen.

    Es lebe die Macht der Sowjets!

    Es lebe die internationale Union der Arbeiter!

    Provisorisches Büro der Kronstädter Sektion der RussischenKommunistischen Partei.

    F. Perwuschin. J. I1jin. A. Kabanow.

    Auf ähnliche Weise drückten verschiedene andere bürgerliche undmilitärische Organisationen ihre Opposition gegen das Moskauer Re-gime und ihre volle Übereinstimmung mit den Forderungen der Kron-städter Matrosen aus. Viele Resolutionen dieses Inhalts wurden auchvon Regimentern der Roten Armee angenommen, die in Kronstadt sta-tioniert waren oder in den Forts Dienst taten. Die folgende ist bezeich-nend für ihren allgemeinen Geist und ihre Tendenz:

    Wir Soldaten der Roten Armee des Forts „Krasnoarmejetz“ ste-hen ganz auf der Seite des Provisorischen Revolutionären Ko-mitees und werden bis zum letztenMoment das RevolutionäreKomitee, die Arbeiter und die Bauern verteidigen.

    … Niemand möge den Lügen der aus Aeroplanen geworfenenkommunistischen Proklamationen glauben. Wir haben hierkeine Generale und zaristischen Offiziere. Kronstadt war im-mer die Stadt der Arbeiter und Bauern und wird dies bleiben.Die Generale sind im Dienst der Kommunisten.

    … In diesem Augenblick, wo das Schicksal des Landes aufder Wagschale liegt, erklären wir, die wir die Macht in un-sere Hände genommen und das Revolutionäre Komitee mitder Führung im Kampf betraut haben, - wir erklären der gan-zen Garnison und den Arbeitern, daß wir bereit sind, für dieFreiheit der arbeitenden Massen zu sterben. Von dem dreijäh-rigen kommunistischen Joch und Terror befreit, werden wir

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  • lieber sterben als einen einzigen Schritt zurückgehen. Es lebedas Freie Rußland des arbeitenden Volkes!

    Die Besatzung des Forts „Krasnoarmejetz“.

    (Izvestia, Nr. 5. 7. März 1921.)Kronstadt war von leidenschaftlicher Liebe für ein freies Rußland

    und von unbegrenztem Glauben in wahre Sowjets inspiriert. Es hatteVertrauen, es würde die Unterstützung von ganz Rußland, von Petro-grad im besonderen, gewinnen, und so die endgültige Befreiung desLandes ins Werk setzen. Die Kronstädter Izvestia sprechen beständigdiesen Standpunkt und diese Hoffnung aus und suchen in zahlreichenArtikeln und Apellen ihre Stellung den Bolschewiki gegenüber klar zubestimmen und ihr Streben, die Grundlagen eines neuen freien Lebensfür sich selbst und das übrige Rußland zu legen. Dieses große Streben,die Reinheit seiner Motive und die glühende Hoffnung auf Befreiung,heben sich schlagend heraus aus den Seiten des offiziellen Organs desKronstädter Provisorischen Revolutionären Komitees und drücken voll-ständig den Geist aus, der die Soldaten,. Matrosen und Arbeiter beseelte.Auf die giftigen Angriffe der Bolschewikenpresse, die infamen Lügen,die von der Moskauer Radiostation in alle Welt gesandt wurden, Kron-stadt der Gegenrevolution und Weißen Verschwörung anklagend, aufall das antwortete das Revolutionäre Komitee auf würdige Weise. Es re-produzierte oft in seinemOrgan dieMoskauer Proklamationen, um demKronstädter Volk zu zeigen, auf welche Tiefe die Bolschewiken gesun-ken waren. Gelegentlich wurden die kommunistischen Methoden vonder Izvestia mit berechtigter Entrüstung entlarvt und charakterisiert, soin ihrer Nr. 6 vom 8. März unter dem Titel „Wir und sie“:

    Die Kommunisten, die nicht wissen, wie sie die, ihren Händenentgleitende Macht festhalten sollen, greifen zu den häßlichs-ten provokatorischen Mitteln. Ihre verächtliche Presse mobili-siert all ihre Kräfte, um die Massen aufzuhetzen und die Kron-städter Bewegung im Licht einer Verschwörung Weißer Gar-den erscheinen zu lassen. Jetzt schickte eine Clique schamlo-

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    ser Schufte das Wort in die Welt: „Kronstadt hat sich an Finn-land verkauft.“ Ihre Zeitungen speien Feuer und Gift, und daes ihnen nicht gelang, dem Proletariat die Überzeugung bei-zubringen, Kronstadt sei in den Händen der Gegenrevolutio-näre, so versuchen sie jetzt die nationalistischen Gefühle inBewegung zu setzen.

    Die ganze Welt weiß schon aus unseren Radios, für was dieKronstädter Garnison und Arbeiter kämpfen. Aber die Kom-munisten suchen den Sinn der Ereignisse zu verdrehen und sounsere Petrograder Brüder irrezuführen.

    Petrograd ist von den Bajonetten der Kursanti und der Par-tei„garden“ umringt undMaliuta Skuratow - Trotzki - erlaubtden Delegierten der parteilosen Arbeiter und Soldaten nicht,nach Kronstadt zu gehen. Er fürchtet, daß sie dort die ganzeWahrheit erfahren und daß die Wahrheit sofort die Kommu-nisten hinwegfegen, und daß die so erleuchteten Massen ihreMacht in ihre eigenen schwieligen Hände nehmen würden.

    Dies ist die Ursache, warum der Petro-Sowjet (der Sowjet vonPetrograd) auf unser Radiotelegramm nicht antwortete, inwelchem wir um die Entsendung wirklich unparteiischer Ge-nossen nach Kronstadt baten.

    Da sie für ihre eigene Haut besorgt sind, so unterdrücken dieFührer der Kommunisten die Wahrheit und verbreiten die Lü-ge, daßWeißgardisten in Kronstadt tätig seien, daß das Kron-städter Proletariat sich an Finnland und französische Spioneverkauft habe, daß die Finnen schon eine Armee organisierthaben, um mit Hilfe der Kronstädter myatezhniki (Meuterer)Petrograd anzugreifen und so weiter.

    Auf all das können wir nur dies antworten: Alle Macht denSowjets! Weg von ihnen mit euren Händen, den Händen, dierot sind vom Blut der Märtyrer der Freiheit, die im Kampf ge-

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