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MARGIT SANDEMO Todsünde

MARGIT SANDEMO Todsünde - bücher.de...Margit Sandemo Todsünde Die Saga vom Eisvolk Roman Ins Deutsche übertragen von Dagmar Mißfeldt Mit einem Nachwort von Gabriele Haefs SSandemo_TodsuendeNEU.indd

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  • MARGIT SANDEMO

    Todsünde

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  • Buch

    Der Dreißigjährige Krieg rast in einer Spur der Verwüstung über Europa, von der auch das Eisvolk nicht verschont bleibt. Während die Männer ihr Volk verteidigen müssen, plagen die junge Cecilie von Meiden, Tengels Enkeltoch-ter, ganz andere Sorgen: Sie ist schwanger – von einem ver-

    heirateten Mann, der obendrein noch Pastor ist.Auch Cecilies guter Freund Alexander von Paladin ist in großer Not. Gerüchte verfolgen ihn und bringen sein Le-ben in Gefahr: Er soll eine unverzeihliche Sünde begangen

    haben, die mit dem Tod bestraft wird ...

    Autorin

    Margit Sandemo ist die meistgelesene skandinavische Au-torin. Ihre Bücher wurden weltweit mehr als 40 Millionen Mal verkauft. Neben der Saga vom Eisvolk hat sie noch weitere Romanserien geschrieben sowie diverse Einzelro-mane. Margit Sandemo wurde 1924 geboren und lebt in

    Nor wegen.

    Von Margit Sandemo bereits erschienen:

    Der Zauberbund (Bd. 1; 36745)Hexenjagd (Bd. 2; 36755)

    Der Abgrund (Bd. 3; 36761)Sehnsucht (Bd. 4; 36803)

    Weitere Romane aus der fesselnden »Saga vom Eisvolk« sind bei Blanvalet bereits in Vorbereitung!

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  • Margit Sandemo

    TodsündeDie Saga vom Eisvolk

    Roman

    Ins Deutsche übertragenvon Dagmar Mißfeldt

    Mit einem Nachwortvon Gabriele Haefs

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  • Die norwegische Originalausgabe erschien 1982 unter dem Titel»Sagaen om Isfolket: Dødssynden«

    bei Bladkompaniet, Oslo, Norwegen.

    »Todsünde« ist bereits 1999 im BKH-Verlag erschienen. Dies ist eine überarbeitete und aktualisierte Ausgabe.

    Verlagsgruppe Random House fsc-deu-0100Das für dieses Buch verwendete fsc-zertifizierte Papier

    Holmen Book Cream liefert Holmen Paper, Hallstavik, Schweden.

    1. AuflageTaschenbuchausgabe Februar 2008 bei Blanvalet,

    einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, München.

    Copyright © by Margit Sandemo 1982Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2008

    by Verlagsgruppe Random House GmbHUmschlaggestaltung: HildenDesign, München

    Umschlagmotiv: Eigenarchiv HildenDesignES ∙ Herstellung: Heidrun Nawrot

    Satz: Uhl + Massopust, AalenDruck und Einband: GGP Media GmbH, Pößneck

    Printed in GermanyISBN 978-3-442-36804-4

    www.blanvalet.de

    SGS-COC-1940

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    In einer längst vergangenen Zeit, vor vielen hundert Jahren, wanderte Tengel der Böse hinaus in die Ein-öde, um seine Seele dem Teufel zu verkaufen.

    Er wurde der Stammvater des Eisvolks.Tengel wurden große irdische Reichtümer verspro-

    chen, um den Preis, dass mindestens ein Kind aus je der Generation des Eisvolks in die Dienste Satans treten und böse Taten verüben sollte. Das Erken-nungszeichen dieser Nachkommen sollten katzengel-be Augen sein, und sie sollten Zauberkräfte besitzen. Und eines Tages würde dem Eisvolk ein Kind mit grö-ßeren übernatürlichen Fähigkeiten geboren werden, als die Welt sie jemals gesehen hätte. Dieser Fluch sollte auf der Sippe liegen bis zu dem Tag, an dem der vergrabene Kessel mit dem Hexensud gefunden wür-de, mit dem Tengel der Böse den Fürsten der Finster-nis heraufbeschworen hatte.

    So berichtet es die Sage.Ob sie wahr ist, weiß niemand.Aber eines Tages im 16. Jahrhundert wurde dem

    Eisvolk einer dieser Verfluchten geboren. Er versuchte jedoch, das Böse zum Guten zu wenden, und wurde deshalb Tengel der Gute genannt.

    Von seiner Familie berichtet diese Saga, vor allem von den Frauen seiner Familie.

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    1. Kapitel

    Winter 1625 …Cecilie von Meiden stand am Bug und sah zu, wie

    das Schiff auf Kopenhagens Reede zuglitt. Das Wetter war schlecht gewesen, und das Schiff lief stark verspä-tet ein. Die Dunkelheit des Februars hatte sich über Stadt und Meer gelegt, und raue Winterkälte zwang Cecilie, hin und wieder ihren Fingern Leben einzu-hauchen, obwohl die in warmen Handschuhen steck-ten. Da sie nicht die teerschwarze Reling des Schiffes anfassen wollte, musste sie in den Krängungen im breit beinigen Seemannsgang festen Tritt finden. Doch es war angenehm zu spüren, wie der Seewind ihr ins Gesicht blies. Sie hatte das Gefühl, als gehöre ihr die Welt, wenn sie so ganz weit vorn auf dem dahinglei-tenden Schiff stand.

    Mit Unbehagen dachte sie an die letzte Zeit zurück. Was war ihr da nicht alles widerfahren? Aber es war doch nicht alles ihre Schuld gewesen?

    Ich bringe es nicht über mich, Alexander von Pa-ladin nochmals zu begegnen, dachte sie bestimmt schon zum hundertsten Mal. Ich kann ihm nicht in die Augen sehen, ohne ihm zu verstehen zu geben, dass ich sein heimliches Laster kenne.

    Nie hatte sie auch nur geahnt, dass dieses Wissen so schmerzlich sein würde. Cecilie hatte es sich nie-

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    mals richtig eingestanden, was Alexander wirklich für sie bedeutete.

    Sie erinnerte sich an ihre erste Begegnung … Ver-ängstigt, verunsichert und traurig über die Botschaft von zu Hause über die Verheerungen der Pest, hatte sie nach ihrer Ankunft bei Hofe hier unten in Däne-mark gesessen. Damals war Alexander von Paladin aus Versehen in ihr Zimmer getreten, und bei dieser kurzen Begegnung war es ihm gelungen, ihr neuen Le-bensmut zu geben. Sie hatte ihn damals gernge habt. Und er hatte ihr weiterhin Unterstützung zukommen lassen, in einer komplizierten Welt aus Ränken und Miss gunst. Seine Gegenwart hatte sie stets mit Freu-de erfüllt.

    Er war einer der Kavaliere des Königs, ein unge-wöhnlich stattlicher Mann mit Stärke und Autorität. Das dunkle Haar, die edel männlichen Gesichtszüge und das wehmütige Lächeln … Ach, das Lächeln, das sie später auf so groteske Weise zu Fall gebracht hat-te!

    Alexander von Paladin war immer verschwiegen, zurückhaltend. Er hatte zu erkennen gegeben, dass er sie mochte – mehr nicht.

    Ein Mann, auf den man sich verlassen konnte – ein echter Freund, der sich um sie sorgte. Warum sollte es dann so wehtun, sein Geheimnis zu kennen? Soll-te nicht sie, eine Tochter des Eisvolkes und der ge-nauso großzügigen von Meidens, genug Toleranz und Verständnis besitzen? Warum war sie so verstört? Es war der junge Tarjei, ihr Vetter mit den großen Be-

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    gabungen und der ungewöhnlich guten Menschen-kenntnis, der ihr den tödlichen Schlag versetzt, die Lösung zu Alexanders Rätsel geliefert hatte, als sie in Norwegen auf Besuch gewesen war.

    Wie hatte sie reagiert? Schockiert und traurig war sie selbstverständlich gewesen, und das war auch nur natürlich. War es jedoch notwendig gewesen, sich dem jungen Pastor Martin in die Arme zu werfen, nur weil er das gleiche melancholische Lächeln hatte wie Alexander? Weil sie sich in so vielen Dingen ähnlich waren?

    Nie im Leben hatte Cecilie etwas so inständig be-reut wie diese flüchtige, stürmische Begegnung mit Martin. Wie erbärmlich war es doch gewesen! Zwei Menschen, gleich bitter einsam und enttäuscht, so voller Verlangen nach Liebe oder – um es brutaler auszudrücken – nach Paarung. Und nun war sie ent-ehrt. Wenn sie je heiraten wollte, dann musste sie vor ihren zukünftigen Mann hintreten und gestehen, dass sie keine Jungfrau mehr war. Wie würde er da reagie-ren? Ihr den Rücken zukehren?

    Das Schiff legte an.Niemand stand am Kai, um sie abzuholen, obwohl

    bei Hofe ihre Ankunft bekannt war. Auch wenn das Schiff enorme Verspätung hatte, so konnte man doch vom Schloss aus problemlos erkennen, wann es ein-lief.

    Nun musste sie sich allein zum Schloss begeben – vorüber an nicht erleuchteten Straßen, wo sich im Schutz der Dunkelheit allerlei Gesindel herumtrieb.

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    Auch auf dem Schiff entdeckte sie niemanden, der sie hätte begleiten können.

    Cecilie umklammerte fest ihre Reisetruhe, hol-te tief Luft, wie um sich selbst Mut zu machen, und ging an Land.

    Mit Wehmut verließ sie das Gewimmel auf dem er-leuchteten Kai und gelangte in menschenleere Stra-ßen, in denen aller Handel für den Tag beendet war. Auf einmal hatte Cecilie von Meiden Angst. Sol vom Eisvolk, mit der sie so viel Ähnlichkeit hatte, hätte das als Herausforderung aufgefasst. Sol hatte Dunkel-heit und Radau geliebt. Ihr wären die Wegelagerer si-cher willkommen gewesen, allein um ihre wunder-same Macht über sie auszuüben. Aber Cecilie besaß nicht die Macht des Eisvolkes, obwohl sie doch dazu-gehörte. Sie konnte sich auf nichts weiter verlassen als allein auf ihre jämmerlich kleine Gestalt.

    Dennoch wusste sie, wie sich eine Dame zu be-nehmen hatte. Bei Hofe war sie mit jeder Faser ihres Körpers stets ganz Dame. Nur zu Hause bei ihrer lie-benswürdigen, warmherzigen Familie konnte es ge-schehen, dass sie sich etwas gehen ließ.

    Aber dass sie sich dem Pastor in die Arme wer-fen konnte … Cecilie senkte den Kopf – wie eine be-schämte Schülerin vor ihrem Lehrer, oder wie ein Hund, der sich mit eingeklemmtem Schwanz ver-kriecht. Sie schämte sich abgrundtief über ihr Betra-gen unten im Schuppen beim Kirchhof!

    Der einzige Trost war, dass es Herr Martinus war, der die Initiative ergriffen hatte. Hätte er sie nicht

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    berührt, verführerische Worte von Einsamkeit und Sehnsucht geflüstert, dann wäre es niemals gesche-hen.

    Aber das war ein schwacher Trost. Sie war willig, ach, so willig gewesen!

    Cecilie kam das erste Stück Weges am Hafen glimpf-lich davon. Lediglich ein paar Freudenmädchen riefen ihr gehässig zu, sich aus ihrem Revier fernzuhalten.

    Die Scherereien begannen erst an der letzten Stra-ßenecke vor dem Kopenhagener Schloss.

    Die Straße, die sie vor dem Schloss überqueren musste, schien von einem lautstarken Haufen licht-scheuer Gestalten bevölkert zu sein. Vagabunden, Trunkenbolde, Straßenmädchen und Verbrecher hat-ten mitten auf der Straße ein Feuer aus Stroh ent-facht, an dem sie sich wärmten und über die Unge-rechtigkeit des Lebens fluchten.

    Cecilie zögerte, aber sie musste an ihnen vorbei. Das Herz schlug ihr bis in den Hals, als sie versuchte, sich so unsichtbar wie möglich zu machen und in ra-schem Tempo vorüberzueilen. Weit vor sich erahnte sie den offenen Platz vor dem Schloss. Dort leuchte-ten andere Feuer, dort befanden sich Pferde und Rei-ter, Leben und Treiben ganz anderer Art.

    Nun war es aber nicht ganz so weit zu diesem of-fenen Platz, wie Cecilie angenommen hatte. Gerade in dem Augenblick jedoch, als sie vor Erleichterung hätte aufatmen können, hörte sie eine einschmei-chelnde Stimme hinter sich und erstarrte.

    »Nein, guck doch mal einer an!«, sagte die Stimme,

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    und Cecilie merkte, wie jemand nach ihrem Umhang griff. Sie fuhr herum, sah einen zahnlos grinsenden Mund in einem frechen Männergesicht und erkann-te, dass es keinen Zweck hatte, hier die vornehme, selbstsichere Adelige zu spielen. Hier hieß es: »Besser gut geflohen, als schlecht gefochten«. So riss sie sich denn los und lief davon.

    Zwei Männer folgten ihr.»Die Tugend dürfen Euer Gnaden behalten, wenn

    wir nur diesen Kasten kriegen«, sagte der eine und griff nach Cecilies Reisetruhe.

    Cecilie reagierte mit den schlechteren Seiten des Eisvolkes. Sie sagte zwar nicht, dass sie bei ihrer Tu-gend zu spät kämen, aber sie schleuderte den Kasten mit aller Kraft auf den Mann. Da der Kasten aus Holz war, versetzte sie ihm einen kräftigen Schlag, so dass er nach hinten taumelte.

    Doch nun war ein anderer Mann hinzugekommen, so dass noch immer zwei hinter ihr her waren. Sie lief so schnell, wie ihre Röcke es zuließen.

    Im selben Augenblick, in dem sie den offenen Schloss platz erreichte, hatten sie sie gepackt. Cecilie konnte noch erkennen, dass sich im flackernden Feu-erschein eine Ansammlung von Soldaten zu Pferd be-wegte, da presste auch schon der eine der Männer ihr die Hand auf den Mund und versuchte sie weg-, wie-der in die Gasse zurückzuziehen, während der andere an der Reisetruhe in ihrer Hand rüttelte und zerrte.

    Cecilie gelang es, sich dem Zugriff der Männer zu

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    entwinden, und sie stieß einen kurzen und erstickten Schrei aus, ehe die Hand wieder auftauchte und sie erneut zum Schweigen brachte.

    Einige der Reiter jedoch hatten sie gehört und ihre Notlage erkannt. Sie ritten aus dem Kreis der Solda-ten heraus und kamen ihr zu Hilfe. Die Verbrecher ließen unverzüglich von ihr ab und verschwanden in die schützenden Schlupfwinkel der Gasse.

    »Fehlt Euch etwas, junge Dame?«, fragte ein bär-tiger Offizier.

    »Nein, nichts, danke! Vielen Dank, allen zusam-men«, keuchte sie. Sie konnte sich kaum auf den Bei-nen halten.

    Ein anderer Reiter ritt auf sie zu. »Aber das ist ja Cecilie!«, sagte eine vertraute Stimme. »Aber, liebes Kind!«

    Sie schaute hoch. Im flackernden Licht des Feuers erblickte sie Alexander von Paladins hochgewachsene Gestalt und empfand eine ungeheure Freude über dieses Wiedersehen. In diesem Moment hatte sie sein fatales Geheimnis vollkommen vergessen, sie sah nur einen lieben Freund, stattlich und übergroß oben auf dem Pferderücken. In schimmerndem Harnisch und schwarzem Umhängemantel, mit ausladendem, fe-dergeschmücktem Hut und hohen Stulpenstiefeln.

    »Alexander!«, lachte sie über das ganze Gesicht.Er beugte sich hinunter und ergriff ihre ausgestreck-

    ten Hände. »Kommst du soeben aus Norwegen?«»Ja. Das Schiff hatte Verspätung, und niemand hat

    mich abgeholt.«

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    Er murmelte etwas von gedankenlosen Höflingen. »Ich wusste von nichts«, sagte er. »Und außerdem ha-ben wir hier eine Musterung …«

    Alexander wandte sich zu seinem wartenden Ka-meraden um und übertrug diesem das Kommando. Er müsse die Baronesse Meiden sicher ins Schloss gelei-ten, sagte er. Dann stieg er ab und übergab sein Pferd dem erstbesten Mann.

    »Wie schön, dich wiederzusehen, Cecilie«, sagte er freundlich, während sie auf das Schlosstor zugingen. »Kopenhagen war leer ohne dich. Wie ist es dir ergan-gen?«

    »Ach, es war herrlich, wieder für eine Weile zu Hause sein zu dürfen, Alexander!«

    Sie lieferte eine lebhafte Beschreibung über das Le-ben auf Gråstensholm.

    Alexander von Paladin legte ihr den Arm um die Schultern. »Schön, dich so munter zu sehen, meine liebe Freundin.«

    Erst da kam ihr das Entsetzliche wieder in Erinne-rung. Seine überwältigende Männlichkeit war nicht für sie gedacht. Unbewusst zog sie sich etwas zurück, und er ließ sie sogleich los. Schweigend schritten sie an der Wache vorüber in den rechten Flügel des Schlosses.

    Als sie die Tür zu ihrem Zimmer erreicht hatten, blieb er stehen und sagte leise: »Ich sehe, dass du es weißt?«

    Cecilie nickte. Im Schein der Wandleuchter sahen seine Augen schwarz und unendlich traurig aus. »Wer hat dir die Wahrheit erzählt?«

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    »Mein Vetter Tarjei. Der Heilkundige, von dem ich berichtet habe.«

    »Natürlich. Und … wie hast du es aufgenommen?«Ihr fiel es sehr schwer, darüber zu sprechen, sie

    wollte am liebsten in ihr Zimmer eilen und die Tür hinter sich schließen, aber eine solche Behandlung hatte er nicht verdient.

    »Ich konnte es zunächst nicht verstehen. Deine … Situation, meine ich. Ich begriff nichts. Dann war ich … aufgeregt und …«

    Sie verstummte.»Und?«, fragte er leise und aufmunternd.»Und traurig«, flüsterte sie.Lange stand Alexander stumm da. Cecilie sah zu

    Boden. Ihr Herz pochte.»Aber eben, als wir uns dort draußen begegnet

    sind«, sagte er leise. »Da sahst du froh aus? Froh, mich zu sehen?«

    »Ich war froh. Ich hatte es vergessen.«»Und jetzt?«»Wie meinst du das?«»Ich möchte auf keinen Fall deine Freundschaft

    verlieren, Cecilie.«Konnte sie eine solche Freundschaft ertragen? War

    sie stark genug, ihr Missfallen zu verbergen? Wäre es nicht erniedrigend für ihn, wenn er ihre Verachtung, ihre stummen Vorwürfe spüren müsste?

    Mit einem Mal erinnerte sie sich ihrer Geschich-te mit Herrn Martinus, und Scham wogte in ihr auf. Was hatte sie für ein Recht, hochmütig zu sein?

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    »Meine Freundschaft ist dir sicher, Alexander«, ant-wortete sie mit belegter Stimme. »Das weißt du.«

    »Danke, Cecilie.«Sie lächelte und legte die Hand auf die Türklinke.

    Rasch begriff er den Wink und küsste ihr zur guten Nacht die Hand.

    »Wann verlässt du die Stadt?«, fragte er.»Um ins Kloster Dalum zu fahren?«»Nein, nein, die Kinder des Königs sind auf Frede-

    riksborg. Auf Besuch.«»Ach, sind sie das? Ich weiß es nicht. Ich muss mor-

    gen nachfragen.«»Tu das! Ich möchte gern Bescheid wissen. Gute

    Nacht, meine Freundin!«Cecilie folgte seiner großen, stolzen Gestalt mit

    Blicken, als er den Korridor entlangschritt. Wie ein Gralsritter bewegte er sich – auch die Gralsritter wa-ren Paladine genannt worden, und er machte seinem Namen alle Ehre.

    Wenn doch nur nicht ein hässlicher, unfassbarer Makel das makellose Bild des Ritters getrübt hätte!

    Erst in ihrem Zimmer fiel ihr ein, dass sie nicht ge-fragt hatte, was es mit der Musterung von Soldaten vor dem Schloss auf sich hatte.

    Bereits am nächsten Tag kam ihr das Gerücht zu Oh-ren. Alexander sitze nicht mehr fest im Sattel, und al-lein seine hervorragenden Eigenschaften als Offizier und die Gunst des Königs hätten ihn vor der tiefsten Schmach bewahrt. Es handelte sich um ein Gerichts-

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    verfahren, sie konnte nicht eindeutig herausfinden, worum es dabei ging. Sie war seinetwegen ernsthaft in Sorge. Denn trotz alledem fühlte sie sich ihm zu-tiefst verbunden.

    Cecilie war noch nicht lange wieder in Kopenha-gen, als sich ihr ihr eigenes katastrophales Dilem-ma offenbarte. Das Abenteuer mit Martin, das so flüchtig und unbedacht gewesen war, hatte Folgen gehabt.

    Es war der schrecklichste Tag in Cecilies jungem Leben.

    Zuerst war sie wie gelähmt. Dann schwankte sie zwischen Hoffen und Bangen. Sie machte das durch, was junge Frauen zu allen Zeiten nach einem un über-legten Liebesabenteuer durchgemacht haben. Bald rang sie die Hände derart heftig, dass ihr die Arme schmerzten, bald lachte sie beunruhigt über sich selbst und sagte sich, dass es noch zu früh sei, sie würde erst in ein paar Wochen Gewissheit haben.

    Dann wieder tobte sie vor Wut. Verfluchte den jun-gen Pastor nach Leibeskräften, belegte ihn mit den schlimmsten Schimpfnamen, die ihr gerade in den Sinn kamen, bis sie sich damit beruhigte, dass es auch ihre Schuld war. Sie hatte nicht viel Widerstand geleistet, wirklich nicht.

    Aber nun war guter Rat teuer.Noch war die Sache nicht weit gediehen. Ja, ihr

    Stelldichein mit Martin war schließlich noch nicht mehr als vierzehn Tage her. Ganz sicher konnte sie da noch nicht sein.

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    Doch Cecilie verfügte über ein ausreichendes Maß an Intuition, um zu ahnen, dass die Lage ernst war.

    Während sie auf ihre Abreise aus der Hauptstadt wartete, wollte sie ein Kleid für Anna Catherine, die Tochter des Königs und Kirsten Munks, fertig besticken. Doch es gelang ihr nur selten, die Perlen an der richtigen Stelle aufzunähen. Das Muster ver-schwamm vor ihren Augen, und sie sah abstoßende Zukunftsbilder vor sich, mit einem Kind, das nie-mand akzeptieren würde; verstoßen und verdammt, würde sie bestraft werden und …

    Cecilie stöhnte und versuchte erneut, sich auf die Perlenstickerei zu konzentrieren.

    In drei Tagen würde sie mit einem Pferdefuhrwerk nach Frederiksborg unterwegs sein.

    Und hier saß sie nun, in einer äußerst peinlichen Si-tuation. Würde ihr Zustand entdeckt, wäre wahrhaf-tig keine Gnade zu erwarten. Bestenfalls würde man sie des Hofes verweisen. Schlimmstenfalls käme sie an den Schandpfahl. Und danach wäre sie für das gan-ze Leben entehrt.

    Cecilie hatte das Fatale am Morgen entdeckt. Sie hatte sich krank und elend gefühlt, und das, was sich vor einer Woche hätte einstellen sollen, war bisher noch nicht eingetreten. Und sonst war es immer auf den Tag genau gekommen!

    Den ganzen Tag über hämmerte ihr Herz voller Pa-nik.

    Die wildesten Pläne wurden verworfen. Gewiss wa-ren ihr diverse Abtreibungsmethoden bekannt – wie

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    eine Besessene arbeiten, oder sich halbwegs zu Tode tanzen, schwere Gegenstände heben, bis der Rücken fast zerbrach, zu weisen Frauen gehen, verschiedene Mittel einnehmen …

    Doch Cecilie war nicht dazu erzogen worden, Le-ben auszulöschen.

    Als der Abend anbrach, hatte sie ihren Entschluss gefasst. Doch das beruhigte sie nur wenig. Wenn sie nur Zeit gehabt hätte, um die Sache vorzubereiten! Wenn es doch nur nicht so schrecklich eilte. Nicht einen Tag hatte sie zu verlieren.

    Hartnäckig entschlossen, aber halb von Sinnen vor Angst, ging sie zu Alexander von Paladins Unter-kunft.

    »Seine Gnaden sind nicht zugegen«, antwortete sein treuer Diener, und Cecilie schwand der Mut noch mehr. »Er ist im Kavaliersflügel.«

    »Aha! Wann kann ich ihn sprechen?«»Ich weiß nicht, Baroness von Meiden. Er hat jetzt

    viel zu tun. Seine Majestät rüsten zum Krieg gegen die Katholiken, und große Heeresstärken werden zu-sammengezogen.«

    Cecilie interessierten die Kriege Dänemarks im Moment wirklich nicht weiter. Sie wusste auch nichts vom Vorgehen der Werber in Norwegen und dem Schicksal ihrer Vettern. Das alles war ja nach ih-rer Abreise von Gråstensholm geschehen. Sie konnte jetzt nur an ihre eigene Not denken.

    Und sie, die sie sich noch kürzlich vor einer Begeg-nung mit Alexander gefürchtet hatte, sehnte ihn nun

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    dringend herbei und ärgerte sich über diese Verspä-tung.

    »Was soll ich nur machen?«, flüsterte sie mit blei-chen Lippen vor sich hin. »Es eilt! Oh, es eilt so ent-setzlich!«

    Der Diener zögerte. »Wenn Ihr eintreten wollt, kann ich versuchen, Seiner Hochwohlgeboren eine Nachricht zukommen zu lassen.«

    Cecilie dachte über die Alternative nach, über den Schandpfahl. Das war alles andere als eine verlocken-de Vorstellung.

    »Ja, danke.«Im Hineingehen legte sie die Hand auf den Arm des

    Dieners. Er blieb sogleich stehen.»Sag mir«, sagte Cecilie zögernd. »Mir sind so ent-

    setzliche Gerüchte zu Ohren gekommen. Hat unser Freund, der Markgraf, im Augenblick große Sorgen?«

    Das Gesicht des Dieners verzog sich fast unmerk-lich. Doch er kannte Cecilies Freundschaft zu Ale-xander, ihre herzliche Offenheit, und er sah die Wär-me und die Besorgnis in ihren Augen.

    »Sehr große, Baroness. Die Lage ist äußerst ernst. Eine Frist von wenigen Tagen. Dann ist es vorbei.«

    Cecilie nickte. »Der Prozess?«»Ja.«Mehr musste nicht mehr gesagt werden. Er bedeu-

    tete ihr, in den eleganten Salon einzutreten, und ent-fernte sich.

    Obwohl seine Worte ihre Lage erleichterten, emp-fand sie keinen Triumph. Sie musste lange warten, was

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    sie wirklich nicht weiter beruhigte. Ihre Hände waren schweißnass. Sie nahm jedes Detail im Raum wahr, während sie rastlos im Zimmer auf und ab ging.

    Alles war so erlesen. Hier standen ererbte Stücke von höchster Qualität, verzierte Renaissancestühle, eine Weltkarte, von der sie nicht viel begriff, schöne Bücher … Alexander von Paladin musste sehr wohl-habend sein. Doch nun halfen ihm all seine Reichtü-mer nichts.

    Endlich waren seine eiligen Schritte auf dem Kor-ridor zu hören, und Cecilie zuckte heftig zusammen, wie sie da vor den Ahnenporträts an der Wand stand. Alles Blut schien ihr in die Wangen zu steigen, und mit verkrampften Händen und großen, ängstlichen Augen blickte sie zur Tür. Nun hing alles davon ab, ob sie die richtigen Worte fand!

    Die Tür wurde aufgerissen, und Alexander trat ein. Er sah recht grimmig drein.

    »Was gibt es, Cecilie? Mein Diener sagt, es sei drin-gend, und ich saß mitten in einer Besprechung.«

    Vor Angst war sie wie gelähmt. »Musst du gleich wieder zurück?«

    »Ja, das muss ich.«»Hast du eine halbe Stunde Zeit für mich?«Er zögerte. »Am besten weniger, wenn es geht. Der

    Reichsrat war ungnädig, als ich gegangen bin.«»Verzeih mir«, flüsterte sie mit gesenktem Blick.

    »Ich werde mich kurz fassen. Aber es handelt sich um eine Sache, die nicht im Handumdrehen zu lösen ist. Ich brauche eigentlich mehrere Tage dazu!«

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    »Nimm Platz«, sagte er milder und setzte sich ihr gegenüber. »Ich sehe, dass dich etwas quält. Worum geht es?«

    Wie elegant er war, wie rein und aristokratisch sei-ne Gesichtszüge, wie anziehend seine Augen waren! Doch gerade in diesem Moment hatte das keine Be-deutung. Sie, die sie so genau gewusst hatte, wie sie die Angelegenheit darlegen würde, konnte sich plötz-lich an kein Wort mehr erinnern.

    »Alexander … Wenn ich nun mit einem Vorschlag komme, dann darfst du nicht glauben, dass ich dir da-mit schaden oder dich verletzen will.«

    Er hob die Augenbrauen.»Keine Erpressung«, stammelte sie. »Ich weiß, dass

    du Probleme hast, aber ich stehe auf deiner Seite, ver-giss das nicht!«

    Noch immer wartete er ab, sie spürte die Distanz, die er zwischen ihnen entstehen ließ.

    Cecilie kam ohne Umschweife zur Sache. »Ich brauche deine Hilfe. Dringend.«

    Er schien sich unangenehm berührt zu fühlen. »Geld?«

    »Nein, nein! Aber ich glaube, ich kann dir helfen – gleichzeitig.«

    Ach nein, so ging es ganz und gar nicht. Bei ihren letzten Worten war er erstarrt.

    Cecilie schlang die Finger ineinander, rang die Hän-de und stöhnte innerlich auf. »Ich weiß, dass du dich in einer schwierigen Lage befindest. Die Details sind mir nicht bekannt, aber …«

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