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WELTEMPFÄNGER 54 66 JULIAN CHARRIÈRE 22 ANDY WARHOL PREUSSISCHER KULTURBESITZ 36 BIRGIT JÜRGENSSEN 76 84 BAUHAUS-SERIE (3) 6 MACHTKAMPF IN BERLIN: Der Streit um die Preußen-Stiftung MALEREI IM BANN HÖHERER WESEN: »Weltempfänger« in München Andy Warhol Was den Pop-Künstler zum Propheten von Social Media macht 32 SEITEN EXTRA: AKTUELLE AUKTIONEN DAS KUNSTMAGAZIN // NOVEMBER 2018 Das schwierige Geschäft mit der Tribal Art // Glücksbringer bei Auktionen// Highlights der Saison Botschafter des Fremden PLUS AUKTIONEN EXTRA-HEFT 32 Seiten zu den Highlights der Kunstauktionen im Herbst TITELBILD: Andy Warhol: »Debbie Harry«, 1980, 102 x 102 cm, Acryl und Siebdruck auf Leinwand (Ausschnitt) 110 AUSSTELLUNGEN 132 JOURNAL 10 RADAR E s gilt in der zeitgenössi- schen Kunst als ange- sagt, mit politischen Themen zu arbeiten. Doch sich selbst und seine Weltverbun- denheit unterzieht der Kunst- betrieb dabei selten einer fun- dierten Kritik. Angesichts des aktuellen gesellschaſtlichen Rechtsrucks stellt sich aber die Frage, wie wirksam rechte Diskurse auch in der Kunstwelt sind. Die Berliner Künstler Fabian Bechtle und Leon Kahane, die sich in ihren eigenen Arbei- ten mit Globalisierung, Reprä- sentation von Zeitgeschichte oder auch politischer Ideologie- bildung beschäſtigen, haben eine Diskursplattform gegrün- det, auf der sie unangenehme Fragen stellen. art: Sie haben das »Forum demokratische Kultur und zeit- genössische Kunst« ins Leben gerufen. Warum? Fabian Bechtle/Leon Kahane: Uns geht es darum, die Kunst und ihre eigenen Diskurse mit den drängenden gesellschaſtli- chen Debatten zu konfrontie- ren. Je länger man versucht, sich dem zu entziehen, wird diese Lücke von anderen gefüllt, zum Beispiel mit kulturpessi- mistischen Narrativen. Und entlang dieser bilden sich auch verstärkt künstlerische bezie- hungsweise ästhetische und politische Querfronten. Dabei geht es zum Beispiel um anti- moderne Tendenzen und Traditionalismen. Der Kultur- pessimismus ist für uns ein zentraler Aspekt, dem wir im- mer wieder auch in der Kunst begegnen. Haben Sie Beispiele? Interessant ist für uns beispiels- weise der Erfolg von Anne Im- hofs Arbeiten. Sie gilt zurzeit als die Speerspitze des deut- schen zeitgenössischen Kunst- verständnisses. Die Arbeiten wurden fast ausschließlich positiv aufgenommen, auch weil sie sich eindeutig aus einem klassischen deutschen Kunstkanon ableiten lassen. Benjamin Buchloh beschreibt, in Bezug auf ihre Arbeit Faust im deutschen Pavillon in Venedig, eine Linearität von Wagner über Beuys zu Imhof. Das hat sich auch schon in ihrer Oper Angstim Hambur- ger baHnHof deutlich ge- zeigt. Eine dichotome Ikono- grafie aus romantischer Sehn- sucht nach Ursprünglichkeit und Widerständigkeit versus eine gescheiterte Moderne, in der man gleichzeitig gefan- gen und von ihr bedroht ist. Das ist eine für den Kulturpes- simismus typische Mischung aus Carl Schmitt und Jean- Jacques Rousseau, in der sich ein geschlossenes Weltbild durch ein Gesamtkunstwerk ausdrückt. Es geht uns hier je- doch nicht um eine Inten- tionskritik, sondern um eine Rezeptionskritik. Wie genau gestaltet sich die Arbeit Ihres Forums? Wir sind mit unserer Web- seite gerade online gegangen. Hier wollen wir Interviews, Ausstellungskritiken und Bei- träge publizieren, die die Verantwortung von Kunst für die Gesellschaſt in den Blick nehmen. Wir werden einen Kunstpreis betreuen und pla- nen Tagungen und Ausstellun- gen. Wir haben das Glück, mit der Amadeu-Antonio-Stif- tung zusammenzuarbeiten, die sich seit Jahrzehnten gegen Rassismus und Antisemitis- mus engagiert und für Demo- kratie eintritt. Auf deren Netz- werke und Expertisen können wir zurückgreifen. Die AfD steigt in die Kultur- politik ein und mischt in den Parlamenten und Aus- schüssen mit. Was ist das Gegenmittel? Diese Partei bedient sich sehr geschickt der Mittel der parla- mentarischen Demokratie – um die Demokratie zu destabi- lisieren. Die Kulturpolitik ist für die AfD keine Nebensäch- lichkeit, sondern sie ist für sie »Man muss dagegenhalten« INTERVIEWZwei Berliner Künstler haben ein Forum gegründet, dass die Verwicklungen von Kunst und rechten Diskursen untersucht »Die AfD ist keine Bedrohung von außen, ihre Argumentationen findet man auch innerhalb der Kunst« zentral. Die AfD verfolgt offen neurechte, nationalistische und völkische Ziele, für die die ag- gressive Ablehnung des »Ande- ren« und der Dreisatz aus Kul- tur, Identität und Volk maßgeb- lich sind. Es ist wichtig, dass man nicht aus Verständnis für die »Besorgtheit« mancher Bürgerinnen und Bürger in die Fallen der AfD-Demagogie tappt und ihr die Arbeit abnimmt. Man muss die eigenen Themen mit der eigenen Sprache vertre- ten. Dafür lohnt es, ebenfalls die etablierten Partizipations- möglichkeiten der parlamenta- rischen Demokratie zu nutzen. Warum ist die Kultur so wich- tig für die AfD? Die AfD definiert in ihren Pro- grammen die Kultur als Kampf- feld für die Durchsetzung ihrer politischen Ziele. Neben der »deutschen Hochkultur« wird eine »politisch unkorrekte« Kunst proklamiert. Das geht für sie natürlich nur so lange, wie sie sich gegen den Staat und den politischen Gegner artikuliert, also sich nicht gegen die AfD selbst richtet. Um sich dagegen zu wehren, muss man an der Demokratie und ihren Prinzipi- en festhalten. Die AfD ist übri- gens keine Bedrohung von außen, sondern ihre Wähler und Argumentationen findet man natürlich auch innerhalb der Kunst. Wo zum Beispiel? Es gibt im Spektrum linker Künstler etablierte Weltbilder, die eindeutige Schnittmengen mit neurechten Ideologie- elementen aufweisen. Anderer- seits werden auch linke Den- kerinnen wie Chantal Mouffe die als Politikwissenschaſt- lerin unter anderem das Er- starken des Rechtspopulismus in Europa erforscht in neurechten Publikationen zitiert und angeeignet – das ist das Problem mit dem Populis- mus. Solche Querfrontbildun- gen sehen wir schon seit Jahren in europäischen Parlamenten. In Kunst und Kultur haben sich einige bereits sehr klar im ideo- JOURNAL NACHRICHTEN UND DEBATTEN A ls Großbritannien 1973 der Europäischen Union beitrat, wurde das damals mit einer Süßigkeiten- Ausstellung gefeiert. Aus jedem EU- Land kam kiloweise Zuckerware in die whitechapel gallery nach London, um den Briten den Beitritt zu ver- süßen. Am letzten Öffnungstag wur- den Kinder aus den umliegenden Schulen eingeladen, sich die Ausstel- lung anzusehen, doch die hatten offenbar etwas gründlich falsch ver- standen und machten sich in Scharen über die Exponate her. Bald waren die Vitrinen leer geräumt und die Polizei musste eine Warnung heraus- geben: Alle Kinder, die Süßigkeiten vom Boden gegessen hatten, könnten dabei auch mildes Rattengift ver- speist haben. Pünktlich zum nun ge- planten Brexit hat die deutsche Künstlerin Ulla von Brandenburg (Jahr- gang 1974) diese Geschichte für die whitechapel galleryverfilmt. Ihr Video Sweet Feastdürfte sowohl Be- fürworter wie Gegner des Austritts vor nicht geringe Deutungsprobleme stellen: War die EU von Anfang an ein vergiftetes Geschenk? Oder hat sich Großbritannien über Europa herge- macht wie die Kinder über die Prali- nen? Am Ende überwiegen auf beiden Seiten wohl die Bauchschmerzen. Im kunstmuseum bonnsteht Sweet Feastjetzt im Mittelpunkt der Ulla-von-Brandenburg-Ausstellung »Sweets / Quilts / Sun«. Dabei ist die Geschichte eher untypisch für das Werk der in Karlsruhe geborenen Künst- lerin. Bislang hat sich von Branden- burg in ihren Filmen, Stoffarbeiten und Zeichnungen mit der Ästhetik des Theaters beschäftigt, etwa indem sie die Kunstform der lebenden Bilder aufgriff, Schattenspiele mit Schauspie- lern inszenierte oder Ausstellungs- räume mit Vorhängen in Bühnen ver- wandelte. Die Metapher vom Leben als Theaterbühne spielt bei ihr ohnehin eine zentrale Rolle: Für die Präsen- tation der Videoarbeit It Has a Golden Sun and an Elderly Grey Moonließ sie das Publikum auf treppenartigen Zuschauerrängen Platz nehmen, die der weißen Treppenlandschaft, in der sich die Filmtänzer bewegten, zum Verwechseln ähnlich sahen. So spie- gelten sich Werk und Leben in mehr- facher Weise. Im Bonnerkunstmuseumwer- den über ein Dutzend Videos von Ulla von Brandenburg gezeigt und um eigenständige Filmrequisiten wie die Quilts aus der Serie Flying Geese ergänzt. In diese Stoffarbeiten hat die Künstlerin Quiltmotive eingefügt, die jenen ähneln, die flüchtigen Skla- ven in den USA als geheime Zeichen- sprache gedient haben sollen. Ame- rikanische Historiker bezweifeln diese Geschichte, aber sie ist einfach zu schön, um ihr nicht eine Bühne zu bereiten. // Das süße Gift In Videos und lebenden Bildern macht die Künstlerin das Leben zum Werk Ulla von Brandenburg: Sweets / Quilts / Sun, Bonn, Kunstmuseum, 01.11.2018—24.02.2019 AUSSTELLUNGEN DIE HÖHEPUNKTE IM NOVEMBER Street-Art-Phantom schlägt wieder zu sotheby’s, London, 5. Oktober 2018. Allen stockt der Atem, wie dieses Still aus einem Handyvideo zeigt. Wenige Sekunden nachdem für Girl with Balloondes britischen Street- Art-Stars Banksy bei 1,2 Millionen Euro der Hammer gefallen war, rutscht das Bild wie von Geisterhand aus dem Rahmen und schreddert sich zur Hälfte selbst. Die Nachrichten überschlagen sich sofort. Angeblich habe Banksy, der seine Identität nicht preisgibt, selbst im Saal gesessen und per Fernsteuerung eine Edition seines wohl berühmtesten Motivs vernichtet, um der elitären Kunstwelt den Narrenspiegel vorzuhalten. Wer wann wie die Schreddermaschine im Rahmen versteckte, ob sotheby’setwas ahnte und wer den Mecha- nismus auslöste, ist eigentlich unerheblich – der Wert des Bildes hat sich sofort verviel- facht. Der anonyme Käufer darf sich nach dem Schock über ein echtes Schnäppchen freuen. RADAR BILDER+THEMEN DES MONATS TITEL ANDY WARHOL Das New Yorker Whitney MuseuM entdeckt in der ersten Retrospektive seit Jahrzehnten den Superstar der Pop Art neu: als Propheten unserer Selbstinszenierung in den sozialen Netzwerken 22 RADAR BILDER DES MONATS Geschredderter Banksy, Christian Boltanski in der Völklinger Hütte, Esther Mahlangu. KUNST AUS DEM OFF Künstlerkleider der Jahrhundertwende. KUNST FÜR EINE BESSERE WELT Boran Burchhardts Übersetzungssoftware aidminutes. ART-CARTOON von Frank Nikol. AKTUELL ÜBERSCHÄTZT Wolfgang Beltracchi 10—20 THEMEN PREUSSISCHER KULTURBESITZ Die Stiſtung ist unter Druck geraten: Kann das riesige Konglomerat von Museen und Institu- ten den Weg aus der Selbstbeschäſtigung finden? Ein Hintergrundbericht 36 WELTEMPFÄNGER Georgiana Houghton, Hilma af Klint, Emma Kunz: Das Münchner Lenbachhaus entdeckt drei Pionierinnen der Abstraktion, die sich als Medium begriffen 54 JULIAN CHARRIÈRE Der Medienkünstler geht in groß angelegten Expeditionen den Tabus und Katastrophen der Menschheit nach. Jetzt werden seine Arbeiten in Berlin gezeigt 66 BILDSEMINAR Wolfgang Ullrich über eine ganz neue Form des Multiples 74 BIRGIT JÜRGENSSEN Die Wiener Künstle- rin, jetzt gezeigt in Tübingen, war mit Arbeiten über Geschlechterklischees und Identität ihrer Zeit weit voraus 76 BAUHAUS-SERIE (3) Mazdaznan und Knoblauchdiät: Die Frühzeit des bauhauses in Weimar war von teils obskuren Kulten und Bräuchen geprägt 84 MEILENSTEINE Auguste Rodin erfindet für Die Bürger von Calais das Denkmal neu 92 STARTER Die Kunststars von morgen, diesmal Nschotschi Haslinger und Benjamin Bronni 98 AUSSTELLUNGEN BONN Ulla von Brandenburg 110 MÜNCHEN Lust der Täuschung 112 PARIS Paula Rego 113 NÜRNBERG KP Brehmer 114 FRANKFURT/M. Cady Noland 115 FRANKFURT/M. Wildnis 116 LONDON Lorenzo Lotto 118 BADEN-BADEN Nicole Eisenman 119 HAMBURG, BREMEN Further Thoughts 120 WIEN Niko Pirosmani 121 KALENDER Die internationalen Kunsttermine im Überblick 122 JOURNAL INTERVIEW Fabian Bechtle und Leon Kahane über den Umgang mit rechten Diskursen im Kunstbetrieb 132 FINANZIERUNG Wie sich französische Museen durch Vermietungen an Firmen Geld beschaffen 134 ERÖFFNUNG Das spektakuläre neue Designmuseum in Dundee 136 AUSSER HAUS Wohnungsbau in Wien 137 WELTRAUMKUNST Warum Trevor Paglen einen Satelliten ins All schießen will 138 IM FILM Kirill Serebrennikows Sowjetpunk-Hommage Leto 140 DENKMALSCHUTZ Leonor Sá rettet Portugals historische Kacheln 142 VIEL HOLZ Die ehrliche Buchkolumne 143 KINDER ERKLÄREN KUNST Peter Sauls Rich Dog 145 RUBRIKEN Editorial 5 Betreff: art 8 Leserservice, Impressum, Fotovermerke 144 Im nächsten Heft 178 7 INHALT // NOVEMBER 2018

E 66en G ADAR e, angu. F e. T an e es . T acchi N Z e as tu-schä igung t on, ünchner er en er en t nach. lin gezeigt R er eine s N e-en t us aznan und s en ägt et für alais kmal

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Page 1: E 66en G ADAR e, angu. F e. T an e es . T acchi N Z e as tu-schä igung t on, ünchner er en er en t nach. lin gezeigt R er eine s N e-en t us aznan und s en ägt et für alais kmal

WELTEMP FÄNG ER

54

66J U L I AN C H ARRIÈRE

22ANDY WARHOL

P REUS SI S C HER K U LT U RBE SI TZ

36

BIRG I T J Ü RG EN S SEN

76

84BAU H AUS-SERIE (3)

6

M A C H T K A M P F I N B E R L I N : Der Streit um die Preußen-Stiftung

M A L E R E I I M B A N N H Ö H E R E R W E S E N : »Weltempfänger« in München

Andy WarholWas den Pop-Künstler zum Propheten von Social Media macht

32 SEITEN EXTRA: AKTUELLE AUKTIONEN D € 11,80 // A € 13,50 // CH sfr 18,80 //

P (cont.), I, E € 15,50 // B, NL, LUX € 13,60

DA S K U N S T M AG A Z I N // N O V E M B E R 2 0 1 8

Das schwierige Geschäft mit der Tribal Art //

Glücksbringer bei Auktionen // Highlights der Saison

Botschafter des Fremden

PLUS AU K T I O N E N

EXTRA-HEFT

32 Seiten zu den Highlights der Kunstauktionen im Herbst

TITELBILD: Andy Warhol: »Debbie Harry«, 1980, 102 x 102 cm, Acryl und Siebdruck auf Leinwand (Ausschnitt)

110 AUSSTELLUNGEN

132 JOURNAL

10 RADAR

Es gilt in der zeitgenössi-schen Kunst als ange-sagt, mit politischen

Themen zu arbeiten. Doch sich selbst und seine Weltverbun-denheit unterzieht der Kunst-betrieb dabei selten einer fun-dierten Kritik. Angesichts des aktuellen gesellschaftlichen Rechtsrucks stellt sich aber die Frage, wie wirksam rechte Diskurse auch in der Kunstwelt sind. Die Berliner Künstler Fabian Bechtle und Leon Kahane, die sich in ihren eigenen Arbei-ten mit Globalisierung, Reprä-sentation von Zeitgeschichte oder auch politischer Ideologie-bildung beschäftigen, haben eine Diskursplattform gegrün-det, auf der sie unangenehme Fragen stellen.art: Sie haben das »Forum demokratische Kultur und zeit- genössische Kunst« ins Leben gerufen. Warum?Fabian Bechtle/Leon Kahane: Uns geht es darum, die Kunst und ihre eigenen Diskurse mit den drängenden gesellschaftli-chen Debatten zu konfrontie-ren. Je länger man versucht, sich dem zu entziehen, wird diese Lücke von anderen gefüllt, zum Beispiel mit kulturpessi-mistischen Narrativen. Und entlang dieser bilden sich auch verstärkt künstlerische bezie-hungsweise ästhetische und politische Querfronten. Dabei

geht es zum Beispiel um anti-moderne Tendenzen und Traditionalismen. Der Kultur-pessimismus ist für uns ein zentraler Aspekt, dem wir im-mer wieder auch in der Kunst begegnen. Haben Sie Beispiele?Interessant ist für uns beispiels-weise der Erfolg von Anne Im-hofs Arbeiten. Sie gilt zurzeit als die Speerspitze des deut-schen zeitgenössischen Kunst-verständnisses. Die Arbeiten wurden fast ausschließlich positiv aufgenommen, auch weil sie sich eindeutig aus einem klassischen deutschen Kunstkanon ableiten lassen. Benjamin Buchloh beschreibt, in Bezug auf ihre Arbeit Faust im deutschen Pavillon in Venedig, eine Linearität von Wagner über Beuys zu Imhof. Das hat sich auch schon in ihrer Oper Angst im Hambur-ger baHnHof deutlich ge-zeigt. Eine dichotome Ikono-grafie aus romantischer Sehn-sucht nach Ursprünglichkeit und Widerständigkeit versus eine gescheiterte Moderne, in der man gleichzeitig gefan-gen und von ihr bedroht ist. Das ist eine für den Kulturpes-simismus typische Mischung aus Carl Schmitt und Jean-Jacques Rousseau, in der sich ein geschlossenes Weltbild durch ein Gesamtkunstwerk ausdrückt. Es geht uns hier je-doch nicht um eine Inten-tionskritik, sondern um eine Rezeptionskritik. Wie genau gestaltet sich die Arbeit Ihres Forums?Wir sind mit unserer Web- seite gerade online gegangen.

Hier wollen wir Interviews, Ausstellungskritiken und Bei-träge publizieren, die die Verantwortung von Kunst für die Gesellschaft in den Blick nehmen. Wir werden einen Kunstpreis betreuen und pla-nen Tagungen und Ausstellun-gen. Wir haben das Glück, mit der Amadeu-Antonio-Stif-tung zusammenzuarbeiten, die sich seit Jahrzehnten gegen Rassismus und Antisemitis-mus engagiert und für Demo-kratie eintritt. Auf deren Netz-werke und Expertisen können wir zurückgreifen.Die AfD steigt in die Kultur-politik ein und mischt in den Parlamenten und Aus-schüssen mit. Was ist das Gegenmittel?Diese Partei bedient sich sehr geschickt der Mittel der parla-mentarischen Demokratie – um die Demokratie zu destabi-lisieren. Die Kulturpolitik ist für die AfD keine Nebensäch-lichkeit, sondern sie ist für sie

»Man muss dagegenhalten«INTERVIEW Zwei Berliner Künstler haben ein Forum gegründet, dass die Verwicklungen von Kunst und rechten Diskursen untersucht

»Die AfD ist keine Bedrohung von außen, ihre Argumentationen findet man auch innerhalb der Kunst«

Forumsgründer Leon Kahane (*1985) und Fabian Bechtle (*1980)

Kunst, die für den ethnisch neutral geführten Diskurs plädiert: Marc Branden- burgs in vier Haut- farben produzierte »Camouflage Pullover« mit Tarnhauben, -handschuhen und Mundreißverschluss

zentral. Die AfD verfolgt offen neurechte, nationalistische und völkische Ziele, für die die ag-gressive Ablehnung des »Ande-ren« und der Dreisatz aus Kul-tur, Identität und Volk maßgeb-lich sind. Es ist wichtig, dass man nicht aus Verständnis für die »Besorgtheit« mancher Bürgerinnen und Bürger in die Fallen der AfD-Demagogie tappt und ihr die Arbeit abnimmt. Man muss die eigenen Themen mit der eigenen Sprache vertre-ten. Dafür lohnt es, ebenfalls die etablierten Partizipations-möglichkeiten der parlamenta-rischen Demokratie zu nutzen.Warum ist die Kultur so wich-tig für die AfD?Die AfD definiert in ihren Pro-grammen die Kultur als Kampf-feld für die Durchsetzung ihrer politischen Ziele. Neben der »deutschen Hochkultur« wird eine »politisch unkorrekte« Kunst proklamiert. Das geht für sie natürlich nur so lange, wie sie sich gegen den Staat und den politischen Gegner artikuliert, also sich nicht gegen die AfD selbst richtet. Um sich dagegen zu wehren, muss man an der Demokratie und ihren Prinzipi-en festhalten. Die AfD ist übri-gens keine Bedrohung von außen, sondern ihre Wähler und Argumentationen findet man natürlich auch innerhalb der Kunst. Wo zum Beispiel?Es gibt im Spektrum linker Künstler etablierte Weltbilder, die eindeutige Schnittmengen mit neurechten Ideologie- elementen aufweisen. Anderer-seits werden auch linke Den- kerinnen wie Chantal Mouffe ... ... die als Politikwissenschaft-lerin unter anderem das Er-starken des Rechtspopulismus in Europa erforscht ...... in neurechten Publikationen zitiert und angeeignet – das ist das Problem mit dem Populis-mus. Solche Querfrontbildun-gen sehen wir schon seit Jahren in europäischen Parlamenten. In Kunst und Kultur haben sich einige bereits sehr klar im ideo-

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J O U R NA LNAC HRIC HTEN

UND DEBATTEN

Als Großbritannien 1973 der Europäischen Union beitrat, wurde das damals mit einer Süßigkeiten-

Ausstellung gefeiert. Aus jedem EU-Land kam kiloweise Zuckerware in die whitechapel gallery nach London, um den Briten den Beitritt zu ver-süßen. Am letzten Öffnungstag wur-den Kinder aus den umliegenden Schulen eingeladen, sich die Ausstel-lung anzusehen, doch die hatten offenbar etwas gründlich falsch ver-standen und machten sich in Scharen über die Exponate her. Bald waren die Vitrinen leer geräumt und die Polizei musste eine Warnung heraus-geben: Alle Kinder, die Süßigkeiten vom Boden gegessen hatten, könnten dabei auch mildes Rattengift ver-speist haben. Pünktlich zum nun ge-planten Brexit hat die deutsche Künstlerin Ulla von Brandenburg (Jahr- gang 1974) diese Geschichte für die whitechapel gallery verfilmt. Ihr Video Sweet Feast dürfte sowohl Be-fürworter wie Gegner des Austritts vor nicht geringe Deutungsprobleme stellen: War die EU von Anfang an ein vergiftetes Geschenk? Oder hat sich Großbritannien über Europa herge-macht wie die Kinder über die Prali-nen? Am Ende überwiegen auf beiden Seiten wohl die Bauchschmerzen.

Im kunstmuseum bonn steht Sweet Feast jetzt im Mittelpunkt der Ulla-von-Brandenburg-Ausstellung »Sweets / Quilts / Sun«. Dabei ist die Geschichte eher untypisch für das Werk der in Karlsruhe geborenen Künst-lerin. Bislang hat sich von Branden-burg in ihren Filmen, Stoffarbeiten und Zeichnungen mit der Ästhetik des Theaters beschäftigt, etwa indem sie

die Kunstform der lebenden Bilder aufgriff, Schattenspiele mit Schauspie-lern inszenierte oder Ausstellungs-räume mit Vorhängen in Bühnen ver-wandelte. Die Metapher vom Leben als Theaterbühne spielt bei ihr ohnehin eine zentrale Rolle: Für die Präsen- tation der Videoarbeit It Has a Golden Sun and an Elderly Grey Moon ließ sie das Publikum auf treppenartigen Zuschauerrängen Platz nehmen, die der weißen Treppenlandschaft, in der sich die Filmtänzer bewegten, zum Verwechseln ähnlich sahen. So spie-gelten sich Werk und Leben in mehr-facher Weise.

Im Bonner kunstmuseum wer- den über ein Dutzend Videos von Ulla von Brandenburg gezeigt und um eigenständige Filmrequisiten wie die Quilts aus der Serie Flying Geese ergänzt. In diese Stoffarbeiten hat die Künstlerin Quiltmotive eingefügt, die jenen ähneln, die flüchtigen Skla-ven in den USA als geheime Zeichen-sprache gedient haben sollen. Ame- rikanische Historiker bezweifeln diese Geschichte, aber sie ist einfach zu schön, um ihr nicht eine Bühne zu bereiten. // MIC HAEL KOHLER

Das süße GiftIn Videos und lebenden Bildern macht die Künstlerin das Leben zum WerkUlla von Brandenburg: Sweets / Quilts / Sun, Bonn, Kunstmuseum, 01.11.2018—24.02.2019

V O R B E R I C H T

Der Katalog zur Aus-stellung mit Texten auf Englisch und Deutsch aus dem Verlag der White chapel Gallery London kostet zirka 25 Euro.

Gegen Vorlage ihrer artCard erhalten unsere Abonnenten ermäßigten Eintritt.

Eine Treppe als Bühne, Stoffbahnen als Farben, Tänzer als Werkzeuge: Der Akt des Malens wird symbolisch als gesell-schaftlicher inszeniert

FILMSTILLS AUS »IT HAS A GOLDEN SUN AND AN ELDERLY GREY MOON«, AUFZEICHNUNG VON 2017

Kinder einer Londoner Grundschule bestaunen süße Herrlichkeiten europäischer Länder

FILMSTILL AUS »SWEET FEAST«, VIDEO VON 2018

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AUSSTELLUNGEND I E H Ö H E P U N K T E

I M N O V E M B E R

Street-Art-Phantom schlägt wieder zusotheby’s, London, 5. Oktober 2018. Allen stockt der Atem, wie dieses Still aus einem Handyvideo zeigt. Wenige Sekunden nachdem für Girl with Balloon des britischen Street- Art-Stars Banksy bei 1,2 Millionen Euro der Hammer gefallen war, rutscht das Bild wie von Geisterhand aus dem Rahmen und schreddert sich zur Hälfte selbst. Die Nachrichten überschlagen sich sofort. Angeblich habe Banksy, der seine Identität nicht preisgibt, selbst im Saal gesessen und per Fernsteuerung eine Edition seines wohl berühmtesten Motivs vernichtet, um der elitären Kunstwelt den Narrenspiegel vorzuhalten. Wer wann wie die Schreddermaschine im Rahmen versteckte, ob sotheby’s etwas ahnte und wer den Mecha-nismus auslöste, ist eigentlich unerheblich – der Wert des Bildes hat sich sofort verviel-facht. Der anonyme Käufer darf sich nach dem Schock über ein echtes Schnäppchen freuen.

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R ADARBILDER+THEMENDES MONATS

TITEL

ANDY WARHOL Das New Yorker Whitney MuseuM entdeckt in der ersten Retrospektive seit Jahrzehnten den Superstar der Pop Art neu: als Propheten unserer Selbstinszenierung in den sozialen Netzwerken 22

RADAR

BILDER DES MONATS Geschredderter Banksy, Christian Boltanski in der Völklinger Hütte, Esther Mahlangu. KUNST AUS DEM OFF Künstlerkleider der Jahrhundertwende. KUNST FÜR EINE BESSERE WELT Boran Burchhardts Übersetzungssoftware aidminutes. ART-CARTOON von Frank Nikol. AKTUELL ÜBERSCHÄTZT Wolfgang Beltracchi 10—20

THEMEN

PREUSSISCHER KULTURBESITZ Die Stiftung ist unter Druck geraten: Kann das riesige Konglomerat von Museen und Institu-ten den Weg aus der Selbstbeschäftigung finden? Ein Hintergrundbericht 36

WELTEMPFÄNGER Georgiana Houghton, Hilma af Klint, Emma Kunz: Das Münchner Lenbachhaus entdeckt drei Pionierinnen der Abstraktion, die sich als Medium begriffen 54

JULIAN CHARRIÈRE Der Medienkünstler geht in groß angelegten Expeditionen den Tabus und Katastrophen der Menschheit nach. Jetzt werden seine Arbeiten in Berlin gezeigt 66

BILDSEMINAR Wolfgang Ullrich über eine ganz neue Form des Multiples 74

BIRGIT JÜRGENSSEN Die Wiener Künstle-rin, jetzt gezeigt in Tübingen, war mit Arbeiten über Geschlechterklischees und Identität ihrer Zeit weit voraus 76

BAUHAUS-SERIE (3) Mazdaznan und Knoblauchdiät: Die Frühzeit des bauhauses in Weimar war von teils obskuren Kulten und Bräuchen geprägt 84

MEILENSTEINE Auguste Rodin erfindet für Die Bürger von Calais das Denkmal neu 92

STARTER Die Kunststars von morgen, diesmal Nschotschi Haslinger und Benjamin Bronni 98

AUSSTELLUNGEN

BONN Ulla von Brandenburg 110

MÜNCHEN Lust der Täuschung 112

PARIS Paula Rego 113

NÜRNBERG KP Brehmer 114

FRANKFURT/M. Cady Noland 115

FRANKFURT/M. Wildnis 116

LONDON Lorenzo Lotto 118

BADEN-BADEN Nicole Eisenman 119

HAMBURG, BREMEN Further Thoughts 120

WIEN Niko Pirosmani 121

KALENDER

Die internationalen Kunsttermine im Überblick 122

JOURNAL

INTERVIEW Fabian Bechtle und Leon Kahane über den Umgang mit rechten Diskursen im Kunstbetrieb 132

FINANZIERUNG Wie sich französische Museen durch Vermietungen an Firmen Geld beschaffen 134

ERÖFFNUNG Das spektakuläre neue Designmuseum in Dundee 136

AUSSER HAUS Wohnungsbau in Wien 137

WELTRAUMKUNST Warum Trevor Paglen einen Satelliten ins All schießen will 138

IM FILM Kirill Serebrennikows Sowjetpunk-Hommage Leto 140

DENKMALSCHUTZ Leonor Sá rettet Portugals historische Kacheln 142

VIEL HOLZ Die ehrliche Buchkolumne 143

KINDER ERKLÄREN KUNST Peter Sauls Rich Dog 145

RUBRIKEN

Editorial 5

Betreff: art 8

Leserservice, Impressum, Fotovermerke 144

Im nächsten Heft 178

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